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Sag‘ beim Abschied leise Servus

Jan Hartwigs Abgang im Bayerischen Hof schlug große Wellen in der Szene – Anlass zum Rückblick auf eine große gastronomische Erfolgsgeschichte. Und für ein Abschiedsmenü

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© Lukas Kirchgasser Fotografie

Jan Hartwig und das Atelier im Bayerischen Hof – das war eine der durchschlagendsten Konstellationen der jüngeren deutschen Gastro-Geschichte. Weil sie jetzt zu Ende geht, nochmal ein kurzer Rückblick: Im Mai 2014 startete der damals knapp 30jährige am Münchner Promenadenplatz, hielt zunächst den Stern, erkochte 2015 den zweiten und 2017 den dritten, Rekordtempo! Hintergrund dieser beispiellosen Karriere sind großes Talent, enormer Ehrgeiz und kompromisslose Zielstrebigkeit. Hartwig wollte nie etwas anderes werden als Koch und verbrachte fast seinen ganzen Berufsweg in höchstdekorierten Häusern, so dass sein Fundus an Küchenwissen und Erfahrung schon entsprechend reichhaltig war, als ihm Bayerischer-Hof-Chefin Innegrit Volkhardt in München die illustre Bühne bot. 

© Lukas Kirchgasser Fotografie

Gäste aus aller Welt rangen fortan um die wenigen Tische im Atelier, das der belgische Interior-Design-Papst Axel Vervoordt im Stil eines puristisch-intimen Kreativateliers gestaltete – als hätte er geahnt, dass hier bald ein Großer seiner Zunft aufkochen würde. Heute bewegt sich Hartwig an der Spitze der neuen deutschen Küche, ist weltoffen in der Aromatik, kreativ in der Konzeption, raffiniert in der Optik und bedient sich ohne jede ideologische Scheuklappen bester regionaler wie globaler Produkte. Was ihn in seiner Generation hervorstechen lässt: Er präsentiert seine Ideen auf dem Fundament besten klassischen Handwerks mit einer geschmacklichen Reife, hinter der man einen weit älteren Koch erwarten würde. 

Amuse Bouches © Autor

Sein Abschiedsmenü zeigt schon in den Amuse-Bouches, immer die Visitenkarte einer Küche, filigrane Detailarbeit und große Sicherheit im Abschmecken: ein Brandteig-Häppchen, gefüllt mit Hartkäse-Creme, als aromatischer Clou ein Hauch Arabica-Kaffee; knuspriges Tartelette mit Wachtellebermousse und Herzkirsche; gebeizte Sardine mit Pinienkernen, Ziegenfrischkäse, Salzzitrone und Spitzpaprika.

Tomate © Autor

„Tomate, Tomate, Tomate“, so nennt er das zweite Amuse, das aussieht wie Rindertatar und ebenso viel Umami mitbringt in seiner Kombi aus Tatar, Pulver und der puren Frucht der Marinda-Tomate. 

Kaviar © Autor

Großartig der Kaviar-Gang als Start ins eigentliche Menü: Wenige Köche trauen sich, das schwarze Gold mit Süße zu kombinieren – ein absoluter Bringer. Die Süße von, ja, Rum-Rosinen, und die Nussigkeit von gerösteten piemontesischen Haselnüssen gehen am Gaumen perfekt auf mit den jodig-salzigen Kaviarnoten und der mild zwiebeligen Vinaigrette sowie Mayonnaise von Kyoto-Lauch-Öl, gebettet ist das Ganze auf Chawanmushi (eine Art japanischer Eierstich).

Lachsforelle © Autor

Süßwasserfische spielen in Hartwigs Repertoire eine zunehmend wichtige Rolle, sie stammen fast ausnahmslos aus der Vorbildzucht von Nikolai Birnbaum im Lechtal. So auch die nur ganz knapp angegarte Lachsforelle, auf der ein knuspriger „Sandwich“, gefüllt mit Kohlrabi und Saiblingsleber, thront. Als Topping gibt’s ein Zweierlei vom Kaviar (Saibling und Kaluga Stör) und als knusprig-schmelziges Kontrastprogramm ausgebackenes Ochsenmark. Umspielt wird die Kreation von Bachkresse-Velouté (links) und frischem Kohlrabi-Sud mit Wasabi und Zitronengras (rechts). 

Hechtnockerl © Autor

Wie gekonnt er Klassiker ins Jahr 2021 versetzt, beweist Hartwig mit seiner Hommage an die französische Hechtnocke: In der Farce verarbeitet er nicht nur Hecht, sondern auch Jakobsmuschel, beim Aufschneiden läuft süffige Kaviarbutter heraus. Dazu gibt‘s fein säuerliche Artischockenmousseline und Beurre Blanc, abgeschmeckt klassisch mit Champagner, unklassisch mit Sake. Und zweierlei Kaviar, einmal Birnbaum-Saibling, einmal Kaluga Stör von N25. Das ist süffig, vollmundig, geschmacksstark. Kurz: Ein Spitzengang, mal eben noch auf den letzten Metern im Atelier entwickelt…

Makrele © Autor

Ein raffiniertes Spiel mit der Wahrnehmung der Gäste ist der nächste Gang, denn was da höchst dekorativ auf dem Teller liegt, könnte man für ein Dessert halten. Aber nein, es ist Makrele, mariniert im Escabechesud. Vor dem Servieren wird sie mit Buttermilch überzogen und mit fermentiertem schwarzem Knoblauch garniert. Darunter versteckt sich Couscous, verfeinert mit Staudensellerie und Apfel, angegossen wird seidig-reichhaltige Dashi-Beurre-blanc.

Wachtel © Autor

Das Schöne an Hartwigs Tellern ist, dass das Hauptprodukt immer klar im Mittelpunkt steht, alles andere ist scheinbar mühelos und entspannt daraufzuarrangiert. Die über Binchotan gegrillte Wachtelbrust garnieren spanische Marcona-Mandeln, leicht geröstet. Dazu gibt‘s Roscoff-Zwiebel-Confit und hauchdünn geschnittene Kräuterseitlinge mit leichter Zwiebelvinaigrette. Die Sauce hat sozusagen einen doppelten Boden: Oben Vin-Jaune-Schaum, unten tiefgründiger Pilztee. 

Reh © Autor

Rehrücken aus Polting findet sich auf vielen Speisekarten, aber selten ist er aromatisch so spannungsreich eingerahmt wie hier. Karotte ist eine eher untypische Begleitung zum Reh, zu Unrecht, wie Hartwig hier virtuos in Form von Gelee, Salat mit knuspriger Nori-Alge sowie junger Möhre, glasiert in Salzbutter und Mohn, klarstellt. Dazu gibt’s Anchovismayonnaise und Serviettenknödel, klassisch zur Scheibe aufgeschnitten. Jus mit Cabernet-Sauvignon-Essig und Kerbelöl rahmen alles ein.

Pré-Dessert © Autor

Sehr kunstvoll das Pré-Dessert aus griechischem Joghurt als Mousse und als Espuma, dazu Schokomousse, Steinchen aus weißer Schokolade und karamellisierter schwarzer Olive. Und als Krönung: Bienenwabenchip mit erfrischendem Kalamansisorbet. 

Dessert © Autor

Als Dessert Zitronen- und Pfefferminzeis zu einer Schnitte aus Petersilienbiskuit, Lemon Curd und Himbeermousse; die Himbeersphäre im Vordergrund ist flüssig gefüllt. 

© Lukas Kirchgasser Fotografie

Das Thema Wein übrigens ist im Atelier bei Jochen Benz, der nicht nur ein hervorragender Sommelier, sondern auch ein warmherziger Gastgeber ist, in den besten Händen. Er feilt kontinuierlich an der Karte und stärkte zuletzt besonders die deutsche Fraktion. Seinen Empfehlungen sollte man blind folgen – sie sind stets perfekt auf die aufwendigen Küchenkreationen eingetunt und immer Gewähr für höchsten Genuss.

© Lukas Kirchgasser Fotografie

Fazit: Der Abgang von Hartwig ist zwar ein Anlass für Wehmut, aber nicht für Trauer, denn wie es aussieht, wird sich daraus am Ende ein Gewinn für die Münchens Gourmetszene ergeben: Der Spitzenkoch will im Herbst ein eigenes Projekt starten, im Bayerischen Hof folgt ihm Anton Gschwendtner, der zuletzt im Stuttgarter Olivo zwei Sterne erkochte. Es bleibt also spannend! 

www.bayerischerhof.de

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