Gelungener Neustart über den Dächern der Hansestadt: Julian Stowasser kocht mit souveränem Handwerk, präzisen Aromenbildern und begeisternder Süffigkeit selbst den 360°-Alster-Blick an die Wand
2020 ist mit seinen Lockdowns nicht das ideale Jahr für einen jungen Küchenchef, um so richtig durchzustarten. Trotzdem sind wir sicher: Von Julian Stowasser wird man noch viel hören. Ein Blick in seine Vita erhärtet diese Einschätzung. Den Feinschliff holte sich der 33jährige unter anderem bei Heinz Reitbauer, Claus-Peter Lumpp und Sven Elverfeld, er war vier Jahre Souschef bei Jan Hartwig im Münchner Atelier und zuletzt knapp zwei Jahre im Frankfurter Weinsinn als Küchenchef. Trotzdem überraschen das souverän-akkurate Handwerk, die Sicherheit in den Aromenbildern und insgesamt eine Geschmacksdichte, wie man sie eher von gereifteren Kollegen kennt.
Stowasser, gebürtiger Bayer, bespielt seit März die spektakulärste Restaurantbühne, die Hamburg zu bieten hat. Betritt man an einem schönen Tag das Lakeside auf dem Dach des Hotels The Fontenay, ist man geradezu geblendet vom Rundumblick auf die Alster und dem Licht, das sich in den verspiegelten Wänden des ganz in Weiß und Cremetönen gehaltenen Raumes bricht.
Selbst ein solches Panorama ist jedoch rasch vergessen, sobald Restaurantleiter Michel Buder mit lässigem Charme die Amuse-Bouche-Parade eröffnet. Sie gipfelt in einer Kombination von kurz blanchiertem Spinat und geräuchertem Schinken, die sich unter getrüffeltem Kartoffelschaum und -crunch verstecken, fast schon ein kleiner Gang, der die vollmundigen Qualitäten des Menüs vorwegnimmt.
Selten steigt man so stark ins Menü ein wie mit dieser Vorspeise im Dessert-Look: Ein täuschend echt wirkender grüner Apfel, in dessen Inneren sich eine klassische Paarung der Spitzenküche verbirgt: Gänseleber und Räucheraal. Die Leber, hier gebraten und als luftige Espuma, dazu die intensive Aal-Aromatik, die Frische des Apfelsorbets, der Crunch von geröstetem Pankomehl und die Raucharomen der angegossenen Bouillon, alles verpackt in der bildschönen Trompe-l’oeil-Frucht – eine unfehlbare Aromenkombi, neu interpretiert und geschmacklich auf die Zwölf.
Die klug gedachten und sehr einfühlsamen Weinpairings von Chefsommelière Stephanie Hehn zählen zu den großen Stärken des Lakeside und sind deshalb schon an dieser Stelle Thema. Zu Gänseleber und Aal wäre die naheliegende Wahl etwas Kraftvolles mit Restsüße, sie wählt bewusst einen frischeren Weg. Der 2019 Pietranera vom Weingut Marco De Bartoli, ein Moscato de Pantelleria, brilliert mit seiner eleganten und doch aromatischen Art, mit schöner Salzigkeit und fast apfeligen Noten. Das macht Appetit auf mehr – eine perfekte Wahl zum Start in den Abend.
Es folgt ein Gruß von der Westküste Frankreichs: Bretonische Makrele trifft auf Gillardeau-Auster. Beide Produkte sind von der Küche einfühlsam behandelt und dürfen ihre natürliche Aromatik voll ausspielen; der auf der Haut gebratene Fisch wurde dezent abgeflämmt, die Auster sekundenkurz anblanchiert, so dass sie einen etwas festeren Biss gewinnt. Dazu gibt’s Beurre Blanc mit Zitronenverbene-Frische, Schnittlauchöl und Austerncreme, obenauf sitzt ein Nori-Algenchip.
Auch hier ein perfekter Begleiter im Glas: 2017 Clos Bel Air, ein Chenin Blanc aus einer Einzellage an der Loire, dessen kräutrige Aromen und feine Mineralik das Gericht untermalen.
Nun zeigt Stowasser, dass er auch beim Thema Gemüse die geschmackliche Prägnanz, die das ganze Menü kennzeichnet, halten kann und wählt dazu schlauerweise einen mediterranen Ansatz voller Umami: Tomate und Artischocke wurden angegrillt, sie umspielt feinschaumige Tomaten-Beurre Blanc mit Basilikummayonnaise, für die Krönung sorgen Artischockenchips und geriebener Ladetyri-Käse von der Insel Lesbos, ein in Olivenöl gereifter Hartkäse, der von Textur und Geschmack an Parmesan erinnert. Schöne Harmonie dazu: ein in der Solera gereifter Sherry.
Ein geradezu genialer Coup ist im Anschluss die orientalisch inszenierte Wachtel: Stowasser streicht das zarte Geflügel mit intensiv-würziger und fein säuerlicher Masala-Tandooripaste ein und gart es im Ofen, um es dann mit einem Crunch aus Pistazien und Arganöl sowie Granatapfel-Gel und Minze zu krönen. Auf geschmortem Auberginenragout serviert und von pfeffriger Ducca-Sauce umrahmt, ist das ein wahres Fest starker Aromen, die das delikate Wachtelfleisch raffiniert einbetten, ohne es zu dominieren. Dazu passt ein argentinischer Malbec von Benmarco aus Mendoza, ein angenehm untyischer Vertreter seiner Art, da nicht üppig und alkoholisch, sondern frisch und saftig am Gaumen.
Auch im Hauptgang erleben wir ein perfektes Match: Der 2016 Syrah „Forgotten Hills“ aus einer Cool Climate-Region in Washington State versteht sich mit seiner elegant-ausbalancierten Stilistik bestens mit auf den Punkt gebratenem BBQ Short Rib samt Bohnen- und Zwiebelinterpretationen sowie seidigem Kartoffelpüree à part.
Und zum Abschluss: Ein Tusch für Marco D’Andrea, Gault&Millau Pâtissier des Jahres 2020. Seine Kunst beweist er diesmal in Form zweier leicht versetzt platzierter Ringe; der untere aus weißer Schokoladenganache und Praliné, der obere aus feingemahlenen Salzstangen geformt, er bringt leicht salzige Noten mit. Das Spiel aus Cremigkeit und Crunch wird durch Frucht und Frische konterkariert – Passionsfruchtbaiser, Passionsfrucht-Umeboshi-Sorbet und Zwetschgensud mit Passionsfruchtkernen.
Den Schlusspunkt setzt Stephanie Hehn mit einer 1992 Riesling Auslese Oestricher Doosberg vom Weingut Wegeler aus dem Rheingau – eine von vielen Raritäten und gereiften Jahrgängen auf ihrer engagiert zusammengestellten Weinkarte.
Fazit: Mit Julian Stowasser, Marco D’Andrea, Stephanie Hehn und Michel Buder ist im Lakeside wieder ein sehr schlagkräftiges junges Team am Start – man darf gespannt sein!