Hinter der sonnengelben Fassade seines Gasthauses kocht Christian Grainer mit bayerischem Herzblut und überregionaler Klasse – und gern auch mal Nose to tail vom Reh eines befreundeten Jägers
„Authentizität“, diese viel strapazierte Vokabel – Christian Grainer würde sie nie in den Mund nehmen. Hat er auch nicht nötig. Er lebt sie einfach und bringt sie so umwerfend genussvoll auf den Tisch, dass die Gäste von weither in die oberbayerische Bilderbuchidylle von Kirchdorf (50 km östlich von München) kommen. An schönen Sommertagen sind dort die Tische unter der alten Kastanie weißgedeckt; ist es kühler, nimmt man drinnen in der holzgetäfelten Stube Platz, die von wohnzimmerhafter Gemütlichkeit ist.
Grainers Küche verbindet die Liebe zur Region mit französischer Gourmandise und einem untrüglichen Gespür für treffsichere Aromenkombinationen. Was er auf den Tisch bringt, ist immer eine Hommage ans große Produkt. Er bietet nur ein Menü (ab drei Gänge, nach oben gibt es keine Grenze), aber es fehlt einem nichts, wenn man sich bei Tisch derart von einem Aha-Erlebnis zum nächsten hangelt. In diesem traditionsreichen Haus, das – wie es sich für ein bayerisches Gasthaus gehört – direkt gegenüber der Kirche liegt, gibt es immer etwas zu entdecken: Mal hat ein Sammler morgens einen Korb frische Steinpilze an der Küchentüre abgegeben, mal kommen die Grainers gerade aus der Wachau zurück, wo sie die Marillen für ihre Desserts vor Ort eingekocht haben. Besonderes Glück hat man man als Gast, wenn sie vom Jäger ein ganzes Reh abgenommen haben und alle in den Genuss der ganz großen Wildfestspiele kommen. Aber dazu später mehr…
Als Auftakt schickt die Küche erst einmal ein raffiniertes Ceviche von der Sardine, gebettet auf feinsten Couscous, begleitet von jungen Gurken, Salicornes und apart mit Zimt eingelegter Perlzwiebel.
Es folgt ein Carpaccio von der Jakobsmuschel, nur ganz leicht anmariniert mit Pflaumenkernöl, dazu Orange, etwas Ossietrakaviar und perfekt gereifte Johannisbeertomaten aus dem eigenen Garten.
Weil Grainer das Reh im Ganzen einkauft, kann er jetzt das komplette Innereienprogramm ausspielen – in vier Gängen. Und Christiane Grainer ist nicht nur die charmanteste Gastgeberin weit und breit, sondern auch eine ausgezeichnete Sommelière, die dazu aus ihrem Ausnahmekeller mit seiner geradezu atemberaubenden Auswahl an gereiften Jahrgängen die eine oder andere sehenswerte Bouteille zu Tage fördert.
Knusprigst-kross ist die Panade, die beim ersten Bissen cremig-schmelzendes Rehhirn freigibt, Tomaten-Champignonsauce und etwas Korianderkresse sind die kongeniale Begleitung.
Zur Rehniere mit Senfsauce und Kartöffelchen harmoniert perfekt der fast kupferfarbene 2004 Altenberg von Marcel Deiss.
Könnte die Rehleber mit Quittensauce, Apfel und Rosinen besser begleitet sein als durch eine 1999 Riesling Auslese Bernkasteler Doctor von Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch?
Abschluss des Innereien-Intermezzos: Pfifferlingsgulasch mit Rehherz.
Christian Grainer kann nicht nur die Region spielen, sein Herz gehört auch der großen französischen Küche und den Schätzen des Atlantik. Rochenflügel und Drachenkopf hatte er gleich zu Beginn im Ganzen am Tisch auf Eis präsentiert, jetzt kehren sie in köstlicher Verwandlung zurück:
Rochenflügel, dazu etwas Fenchelgemüse, Tomaten-Kapernbutter und Oliventapenade.
Rascasse, gebettet auf Pfahlmuscheln, umspielt von fruchtig-intensiver Paprikasauce.
Zeit für den Höhepunkt: Der Rehrücken wurde in Grainers berühmtem Holzofen unter Walnusskruste zu zartester Perfektion gebraten. Jetzt wird er am Tisch präsentiert und tranchiert. Dazu passen nicht nur schwarze Walnüsse, geschmeidiges Selleriepüree, ein Steinpilz und Birnen-Preiselbeercoulis, sondern im Glas auch perfekt der 2004 Chambolle-Musigny Les Chardannes der Domaine Alain Burguet.
Zum süßen Abschluss stiehlt der Teller mit Porzellan-Zugspitze dem Dessert fast die Schau, aber nur fast: sahniges Schokoladenmousse, würziges Rosmarineis, kandierte Rosenblüten, eingelegte Kirschen, Mangowürfel und Rosmarincrumble.
Ganz klassisch: Wachauer Marillenknödel unter der Bröselschmelze mit süchtigmachendem Kompott und Sauerrahmeis.
Authentischer geht’s nicht, oder?
1 Michelin-Stern
16 Gault&Millau-Punkte