Sie ist die Königin der zeitgemäßen französischen Küche, die einzige mit drei Sternen ausgezeichnete Frau der Grande Nation. Auch im Beau-Rivage Lausanne inszeniert sie die ganz große kulinarische Oper
„Was ich an ihrer Küche so schätze, ist ihre Wahrhaftigkeit.“ Das hat ihr großer Förderer Paul Bocuse einmal über die junge, zierliche Kollegin aus Valence gesagt, deren großes Talent er damals als einer der ersten erkannte. Heute ist Anne-Sophie Pic die einzige Drei-Sterne-Köchin Frankreichs. Sie ist eine von nur einer Handvoll Frauen, die weltweit diese höchste Auszeichnung tragen.
Längst hat sie ihren ganz eigenen Stil gefunden. Er ist nicht, wie bei vielen männlichen Kollegen, durch die Lehrzeit bei großen Meistern beeinflusst. Er ist Ausdruck ihrer ureigenen Persönlichkeit, innovativ und doch mit dem Bewusstsein, in einer großen Tradition zu stehen. Sie fühlt sich jenen beiden großen Köchen verpflichtet, die den Geist des Hauses Pic vor ihr prägten, ihrem Vater Jacques und ihrem Großvater André. Madames Küche jedoch ist ganz von heute, leicht, subtil gewürzt. Oft ist auch eine Prise Ironie im Spiel. Typisch für ihren Stil sind leichte, dabei hocharomatische Fonds, der einfühlsame Einsatz von Kräutern wie Gewürzen und die scheinbar leichtfüßige Balance, die all ihre Teller auszeichnet.
Seit 2009 führt sie, neben dem Stammhaus in Valence und ihren anderen Aktivitäten weltweit, das mit zwei Sternen und 18 Gault&Millau-Punkten ausgezeichnete Restaurant „Anne-Sophie Pic“ im Beau-Rivage Lausanne. Das erste Haus am See ist ein wahrer Palast von einem Hotel, perfekt gelegen an der Uferpromenade von Ouchy. Und es blickt auf eine stolze Tradition zurück: In diesem Jahr feiert man 160. Geburtstag. Ganz auf der Höhe der Zeit aber speist man im Gourmetrestaurant, besonders schön sitzt man auf der Terrasse mit Blick auf die großzügigen Gärten und den See.
Zum Blanc de Noirs „Fidèle“ von Vouette&Sorbée stimmt ein delikates Amuse-Bouche die Geschmackspapillen auf kommende Genüsse ein: Konfierte Kartoffel mit gepickelten Radieschen und Mikrokräutern. Dazu wird intensiver Kombu-Algen-Sud angegossen.
„Tomaten im Plural“ nennt Anne-Sophie Pic ihre frühsommerlich leichte Vorspeise mit Kirschtomaten alter Sorten wie Noire de Crimée oder Indigo Rose. Der Clou ist die angegossene (kalte) Consommé von Tomatenwasser, raffiniert aromatisiert mit Verveine, Absinth und Kaffee. À part gibt’s dazu geeiste Crème von geräucherter Burrata. Die Tomaten stammen von einem lokalen Züchter, bei dem auch das legendäre Restaurant de l’Hôtel de Ville im nahen Crissier kauft.
Die „Berlingots“ haben einen festen Platz in Anne-Sophie Pics Menüs, sie interpretiert die kleinen Teigtaschen immer wieder neu. In Lausanne werden sie jetzt ganz frühlingshaft in knallgrünem Kressecoulis serviert. Der optische Clou: In den Teig sind Blüten und Blätter eingearbeitet. Der geschmackliche Clou: Beim Draufbeissen ergiesst sich eine flüssige, feinwürzige Käsemischung, der Gaumen erkennt einen vertrauten Geschmack – Käsefondue. Und zwar in der Westschweizer Version, die immer zu gleichen Teilen aus Gruyère und Vacherin Fribourgeois besteht, dazu gibt Madame einen Hauch japanischen Nikka Whisky.
Hummer in Krustentierbutter zu perfektem Biss gebraten, dazu als süßes Element vollreife Aprikosen mit fermentiertem Honig, als salzige Note ein Garum mit Blütenstaub. Ein Coulis von Kapuzinerkresse bringt Frische, am Tisch wird noch eine Krustentierconsommé angegossen, die mit Cassia-Zimtschale aromatisiert wurde.
Ein besonderer Hochgenuss ist ihre Interpretation jenes Gerichts, das ihr Vater Jacques Pic 1971 zum ersten Mal auf die Karte setzte und das zu einem seiner Klassiker wurde: Ein Wolfsbarsch aus dem Atlantik, selbstverständlich handgeangelt, wird behutsam gedämpft, so dass seine zarte Aromatik voll zum Tragen kommt. Serviert wird er in luftig-leichter Champagnermousse, deren ultrafeine Säure die Fischaromatik hebt, gekrönt von einer satten Nocke Ossietra-Kaviar aus dem Hause Kaviari. Eine Verbeugung vor der großen klassischen Kochkunst und in seiner jodigen Reinheit und Leichtigkeit zugleich ein sehr zeitgemäßes Gericht.
Anne-Sophie Pic setzt gern auf lokale Produkte: das Limousin-Rind graste auf einer Waadtländer Alm, die Mini-Aubergine stammt von einem Züchter in der Nähe von Genf. Das Boeuf gibt’s einmal als Entrecôte, leicht angeräuchert und dann gebraten, außerdem à part als Tatar von der Pluma. Dazu die gegrillte Aubergine mit geröstetem japanischen Buchweizen und als Püree, angegossen wird mit grünem Shiso aromatisierter Rinderjus – eine aromatisch aufregende Kombination.
Ein fein ironisierter Käsegang „Pêche Melba“: Der „Pfirsich“ ist in Wirklichkeit ein hauchdünner Chip. Er ziert eine Brie de Meaux-Emulsion, luftig-schaumig in der Konsistenz, intensiv im Geschmack.
Es folgt ein fruchtiges Dessert rund um das Thema Erdbeere. Die fraise gariguette taucht in verschiedenen Texturen auf, als Kompott, als Chip und vor allem frisch mit einem Gel von schottischem Talisker-Whisky, dessen rauchig-torfige Aromen perfekt harmonieren. Die Früchte liegen auf einem knusprigen Sablé mit schwarzem Sesam, in ihrer Mitte eine Mousse von geräucherter Vanille, in deren Herzen sich ein Whisky-Erdbeer-Sorbet versteckt.
Anne-Sophie Pics legendäres Dessert „Le Millefeuille Blanc“ ist alleine eine Reise wert: Sie serviert es als puristisch-monochromen Würfel ganz in Weiß aus Tahiti-Vanille-Creme, der beim Essen sein Innenleben in Form von knusprigst karamellisiertem Blätterteig, Jasminblüten-Gelee und leichter Joghurtemulsion offenbart, Voatsiperifery-Pfeffer setzt feine Schärfeakzente.
„Condrieu passt besonders gut zu meiner Küche“, sagt Anne-Sophie Pic. „Er stammt aus dem Rhonetal, genau wie ich.“ Entsprechend gut ist er auf der imposanten Weinkarte mit 1200 Positionen vertreten. Insgesamt 75.000 Flaschen lagern im Spitzenweinkeller des Beau-Rivage Palace. Weitere Schwerpunkte der Karte liegen auf Burgund und Bordeaux, aber auch die Region hat man im Blick: Aus den Weinbergen des umliegenden Lavaux, als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet, stammen immerhin 150 Positionen.