Norbert Niederkofler prägt eine neo-alpine Küche im Sinne der Nordic Cuisine und macht das abgelegene Südtiroler Gebirgstal Alta Badia zur Gourmetdestination
„Cook the mountain“, so lautet sein Schlachtruf, der vor Jahren die Initialzündung für eine völlig neue Art von Südtiroler Regionalküche gab. Bis heute gilt: Was Niederkofler im Restaurant „St. Hubertus“ des Hotels Rosa Alpina serviert, ist so eigenständig, unverwechselbar und verblüffend, dass Gourmettouristen und Urlauber gern den langen Weg bis auf 1537 Meter in Kauf nehmen. Kein anderer Küchenchef hat die neo-alpine Küche so geprägt wie der gebürtige Pustertaler. Hoch oben in den Dolomiten, in St. Kassian im Gadertal (italienisch: Alta Badia), erkochte er sich mit einer Stilistik, die konsequent auf die Region setzt, höchste kulinarische Weihen: drei Sterne im Guide Michelin.
Der Südtiroler Nonkonformist verbannte Gänseleber und argentinisches Rindfleisch ebenso aus seiner Küche wie Meeresfisch, Olivenöl und Zitrusfrüchte, deren Säure er durch Fermentiertes ersetzt. Die Michelin-Höchstnote erreichte er mit Gerichten wie Schweinskopfsandwich, Graukäserisotto oder Forelle mit Waldfrüchten, schwarzem Knoblauch und Enzian. „Wir haben eine komplett neue Route auf den Mount Everest gewählt“, so formuliert es der 61jährige, der als junger Mann Skirennen fuhr.
Die kulinarischen Schätze des Alpenraums sind für Niederkofler eine Herzensangelegenheit, und so ist gleich die erste Vorspeise Ausdruck seiner „No Waste“-Maxime. Er zeigt, wie man alles vom Tier in einem Gericht verwertet: Zum fein geschnittenen Tatar von der Renke mit eleganter Aromatik wird am Tisch Terlaner Weißweinsauce mit Dillöl gegeben, der Saucenfond wurde aus den Karkassen und dem Kopf des Fischs gekocht. Im Tatar ist etwas grüner Apfel für die Frische, obenauf Holunderkapern und die leicht frittierten Fischschuppen für den Crunch. Ein raffiniertes Spiel von warm (Sauce) und kalt (Tatar), der zarte Fisch gart auf dem Teller ganz leicht an.
„Aal Porchettata“ nennt Niederkofler augenzwinkernd den nächsten Gang, der natürlich alles andere ist als der klassisch gerollte Schweinebauch der italienischen Tradition. Sondern ein Filet vom Aal, eingerollt in eine hauchdünne Scheibe Lardo, glasiert mit hausgemachter Sojasauce aus fermentierten Linsen. Der köstliche Happen wird nach japanischer Yakitori-Art auf dem Holzkohlegrill vollendet. Inspiriert ist das Gericht vom Unagi-Aal, aber eben mit Produkten aus dem Alpenraum. Dazu gibt es eine Kraftbrühe aus den Karkassen vom Aal, obenauf etwas Schnittlauch-Öl. Man isst und trinkt abwechselnd für den vollendeten Genuss.
Brot und Butter erfahren bei Norbert Niederkofler höchste Wertschätzung – sie stehen als eigener Gang auf der Speisekarte. Sein hausgebackenes Sauerteigbrot lässt er zunächst am Tisch im Ganzen präsentieren – ähnlich wie man klassisch einen im Ganzen gegarten Steinbutt oder eine Kalbsschulter vorführt. Danach wird es in der Küche geschnitten, zwei Scheiben kommen auf einem Brett zurück an den Tisch, dazu gibt es frisch aufgeschlagene Almbutter.
Risotto darf in Südtirol nicht fehlen. Niederkoflers knallgrüne Variante verdankt ihre Farbe dem Bärlauch, der jedes Frühjahr von den Köchen gesammelt und zu Öl verarbeitet wird, so dass er das ganze Jahr verfügbar bleibt. Vollendet wird das Risotto mit Stracchino, einem Frischkäse aus der Lombardei, der Heimat von Niederkoflers kongenialem Souschef Michele Lazzarini. Dazu serviert die Küche eine Spezialität aus der Region Bergamo: Bergna, eine klassische Methode zum Konservieren von Fleisch. Hier stammt es vom Schaf, wird mit Rotwein und verschiedenen Gewürzen mariniert, dann etwa zwei Wochen getrocknet, schließlich leicht gegrillt und über das Risotto geraspelt.
Ein kleiner Pasta-Gang: Ditalini aus Dinkelmehl, die eine etwas kräftigere Sauce brauchen. Sie basiert vor allem auf Extrakt vom Wild, in diesem Fall Hirsch. Die Sauce ist mit etwas Blut gebunden, damit sie dick und kraftvoll wird. Darüber gibt die Küche etwas Berberitze und Meisterwurzel, ein hochalpines Gewächs, kraftvoll im Geschmack, mit Bitternoten.
Ein Niederkofler-Klassiker: Rote-Bete-Gnocchi. Der Teller soll die Idee von Roter Bete vermitteln, die gerade aus der Erde wächst. Im Zentrum stehen klassische Gnocchi aus Kartoffelteig, glasiert mit roter Bete und gefüllt mit flüssigem Meerrettichsud. Dazu eine Creme von japanischem Daikon-Rettich und die „Erde“, bereitet aus Brot und Bier.
Das Kalbsbries wird in einer gußeisernen Pfanne über heißen Kohlen mit etwas Butter und Knoblauch butterzart gebraten. An der Seite eine Emulsion von bitteren Kräutern, am Tisch wird noch eine Sauce dazugegeben, die auf Sauerampfer und dem Wasser von fermentierten Lärchenzapfen basiert.
Niederkofler schränkt sich bewusst ein, indem er nur Produkte aus den Alpen verwendet. Aber er ist überzeugt: „Das setzt umso mehr Kreativität frei.“ Bestes Beispiel ist sein Klassiker „Forelle Müllerin“, ein saftiges Filet des Süßwasserfischs, das zunächst wie im Ursprungsrezept mehliert und gebraten wird. Auf den Tisch kommt es quadratisch zugeschnitten und in feinsäuerlicher Glasur. Der Clou: Die Zitrone – die in den Bergen nicht wächst – aus dem Ursprungsrezept ersetzt Niederkofler durch fermentierte Susinen, eine heimische Pflaumensorte mit besonders hohem Säuregehalt.
Cappello del Prete, der Hut des Priesters, so heißt auf italienisch die Rindsschulter, die landläufig gern geschmort wird. Niederkofler macht das Gegenteil: Er grillt sie ganz kurz auf dem offenen Feuer mit viel Hitze, lässt sie ruhen und packt sie nochmal auf den Grill. Serviert wird das Fleisch auf einer Art Bergpesto (unter dem Fleisch) – gehackte Bergkräuter mit weißer Johannisbeere verfeinert, um Säure zu geben. Dazu der Jus vom Rind und etwas Knochenmark.
Zum Abschluss des Hauptteils ein „Pilzcapucchino“: Die Pilze dafür werden vom Küchenteam im Herbst handgepflückt und getrocknet. So kann man die Kreation auch im Frühjahr servieren: Die Pilze werden in etwas Wasser belebt und in der Pfanne herausgebraten. Aus dem Pilzwasser entsteht eine Consommé mit Pilzen, Leinsamen und Kürbiskernen für etwas Knusper, ein Schaum vom Steinpilz schliesst das Ganze ab.
Etwas Tischtheater zum süßen Finale: Der mit Lärchenessenz verfeinerte Marshmallow wird vor den Augen der Gäste abgeflämmt. Darunter verbirgt sich ein Sorbet aus Apfel und Sauerampfer, um den Gaumen mit feiner Säure zu erfrischen.
Zum Abschluss eine „Cagliata“, eine Art dickgelegte Milch, also das Produkt, bevor die Milch zu Käse wird. Darunter verbirgt sich ein Obst-Gemüse-Salat aus weißen und roten Johannisbeeren, Rhabarber, Erdbeere, Sanddorn, aber auch frittierter Topinambur und schwarze fermentierte Walnüsse sind dabei. Der rote Rand ist ein Kompott von der Kornellkirsche, das dem Ganzen Frische und Süße verleiht.
Restaurant-Manager und Sommelier Lukas Gerges, der den Abend souverän-charmant moderiert, bietet aus dem großartigen Keller des Hauses zum Fleischgang gleich zwei große italienische Rotwein-Paarungen auf: Aus Südtirol den geschliffen-eleganten Blauburgunder Pònkler aus dem Spitzenjahrgang 2016 vom viel zu früh verstorbenen Franz Haas, der als einer der ersten in der Region auf den Klimawandel reagierte und diese Rarität in einem Weingarten auf über 700 Metern anbaute. Dazu der Top-Lagrein von Elena Walch, Castel Ringberg Riserva 2015, würzig, dunkel-fruchtig, ein Südtiroler Klassiker.
Parallel dazu ein Match Piemont gegen Toskana: Barbaresco Pajé aus 2016, auch im Piemont ein exzellenter Jahrgang. Eine gesuchte Rarität von Luca Roagna, noch jung für einen Barbaresco, aber dank seiner Eleganz und ausgeprägten Frucht schon jetzt pures Trinkvergnügen. Dagegen hält ein klassischer Sangiovese aus dem Chianti, der Top-Wein von Montevertine: Le Pergole Torte 2016, sehr old school, ohne neues Holz, purer Genuss.
Wer den Schätzen des exzellenten Weinkellers im Hotel Rosa Alpina zusprechen will, bucht am besten ein Zimmer in diesem Haus der Extraklasse (und Aman-Partnerhotel) im Dorfkern von St. Kassian. Alle Zimmer sind im noblen Alpin-Stil gehalten, in den Suiten kann man es sich am Kamin gemütlich machen.