Restaurants

Coda, Berlin

Cheesecake mit Kaffee und Sellerie oder gelbe Tomate mit Kichererbse und Zitronentapioka – René Frank hat einen Namen als progressivster Dessertkünstler Deutschlands

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(Porträt René Frank)

René Frank © Claudia Gödke

Berlin-Neukölln, Reuterkiez – nicht unbedingt das natürliche Habitat für ein Zwei-Sterne-Restaurant. Gastronomie, das bedeutet in dieser rauhen Ecke der Stadt Dönerbuden und Spätis. Dass es hinter der über und über mit Graffiti besprühten Altbaufassade an der Friedelstraße 47 anders ist, darauf weist nichts hin. Kein Namensschild, keine Speisekarte vor der Türe. „Die erste Zeit war nicht einfach“, sagt René Frank, der Deutschlands einziges Dessertrestaurant „Coda“ 2016 eröffnete. 

Karotte, Joghurt-Mousse, Kompott von Ingwer und Fingerlime, knuspriger Buchweizen © Claudia Gödke

Er erinnert sich an einen Zettel an der Türe: „Neukölln will euch nicht haben!“ Doch das Blatt wendete sich rasch. Heute boomt das wohl ungewöhnlichste Fine-Dining-Konzept zwischen Sylt und Garmisch. 2019 kam der erste Michelin-Stern, 2020 der zweite. 2022 erhielt er die Auszeichnung zum „World’s Best Pastry Chef“. Sie machte ihn schlagartig in der weltweiten Gourmetszene bekannt, seither kommen Reservierungsanfragen aus Tokio und New York.

Geeiste Rote Bete mit Moosbeere und Tofu © Claudia Gödke

Aber was ist das eigentlich, ein Dessertrestaurant? René Frank hat längst aufgehört zu zählen, wie oft er sein Konzept schon erklären musste. Dabei lässt es sich durchaus im Wortsinn verstehen: Er serviert seinen Gästen ein Pâtisserie-Menü mit sieben Gängen. Natürlich haben seine Kreationen wenig mit dem zu tun, was landläufig bei Kollegen zum Nachtisch serviert wird. Süße kommt bei ihm zwar vor, aber manchmal erst auf den zweiten oder dritten Bissen. 

Törtchen von der gelben Tomate mit Kichererbse und Zitrone © Claudia Gödke

So ein Menü startet zum Beispiel mit einer Art kleinem Törtchen aus Confit und Sorbet von der gelben Tomate, bedeckt von einem Kichererbsenbaiser mit einem Topping aus Zitronentapioka. Und überrascht im weiteren Verlauf durch eine Waffel mit reifem Raclettekäse und Kimchipulver, die man in Joghurt tunkt. 

Raclette-Waffel mit Kimchi und Joghurt © Autor

Schon ein Klassiker in dem kleinen Neuköllner Lokal ist die Aubergine: Sie wird wie eine Frucht eingeweckt und als eine Art Kompott mit Pekannuss-Eis, Lakritzgelee und Apfelbalsamico serviert. Im Glas gibt es dazu eine Kreation aus Sherry Oloroso (dessen oxidative Note gut zum Fleischigen der Aubergine passt), chinesischem Oolong Tee, Koriander und einem Kardamom-Destillat, das über den fertigen Drink gesprüht wird und intensiv in die Nase steigt. 

Aubergine mit Pekannuss, Apfelbalsamico, Lakritzsalz © Claudia Gödke

Solche „pairing drinks“ werden im „Coda“ zu jedem Gericht serviert. Sie kommen nicht von der Bar, sondern aus der Küche. Frank möchte sie nicht als klassische Cocktails verstanden wissen, sondern komponiert sie als erfahrener Pâtissier „wie eine flüssige Speise“. Der Vorteil: Seine Kreationen sind zu 100% auf das Essen zugeschnitten: „Gerichte und Drink sind bei uns in einem gedacht.“

René Frank und Sous-Chefin Julia Leitner © Claudia Gödke

Immer wieder kommt (meist von männlichen Gästen) die besorgte Frage, ob man denn im Coda wirklich satt werde? Keine Sorge, sagt Frank, niemand muss im Anschluss noch zur Currywurst-Bude gehen: „Wie bei jedem anderen Menü auch ist es wichtig, das genug Umami im Spiel ist, so dass alle Sinne befriedigt werden – und dafür sorgen wir.“ Den Umgang mit Umami – so bezeichnen die Japaner den fünften Sinn, den Drang nach Herzhaftem im Essen – hat er während seiner Zeit in Tokio gelernt. Schon als jungen Koch zog es ihn in die Ferne: „Für mich war klar: Ich will alles sehen, was die kulinarische Welt zu bieten hat.“ 

Über Holzkohle gegrillter Apfel mit Hafer (Cookie und Eis), Amazake und Schalotte © Claudia Gödke

Er heuerte nacheinander in mehreren japanischen Restaurants an, unter anderem im „Ryugin“ in Tokio und bei Umami-Guru Yoshihiro Murata im „Kikunoi“ in Kyoto (beide heute mit drei Sternen ausgezeichnet). „Die japanische Leidenschaft für beste Produkte hat mich wahnsinnig geprägt. Man serviert dort zum Nachtisch vielleicht nur einen Schnitz Pfirsich – aber der ist absolut perfekt.“ Auch in punkto Schnittechnik hat er viel gelernt: „Sie kann ausschlaggebend für den guten Geschmack sein, nicht nur beim Fisch wie im Sushi-Restaurant, auch bei Gemüse.“

Das Interior, bewusst puristisch gehalten © Claudia Gödke

Das „Coda“ (benannt nach dem Schlussteil eines Musikstücks) ist bei allem Erfolg bis heute ein sehr schlichtes Lokal, von japanischem Purismus. Holz, Stein und Metall prägen den Raum, die Beleuchtung ist schummrig, im Zentrum steht ein mächtiger Tresen, an dem man auf Hockern sitzen und essen kann. Hier war kein angesagter Interior-Designer am Werk, auch auf Teller-Ikebana wird konsequent verzichtet. Hier geht es um die Sache, nicht um den schönen Schein. 

Cironé Cheesecake mit Kaffee und Sellerie © Claudia Gödke

Bewusst distanziert sich Frank von namhaften Superstars der Branche wie Cédric Grolet, dem Rockstar-Pâtissier mit seinen zig Millionen Instagram-Followern: „Solche Kunstwerke werden meist mit extrem viel weißem Zucker, mit Farbstoffen und anderen hochraffinierten oder künstlich erzeugten Zusatzstoffen hergestellt, damit sie gut aussehen.“ Was René Frank am Wichtigsten ist, kann man nicht sehen, aber schmecken: Ihm geht es um Qualität und Natürlichkeit der Zutaten, vor allem aber um den guten Geschmack. „Genau wie in der Spitzenküche auch“, sagt er. Deshalb bezieht er seine Produkte am liebsten aus der Region, bevorzugt von kleinen Höfen und Züchtern in Brandenburg: „Großartige Süßkartoffeln wachsen praktisch vor unserer Haustüre, alle Milchprodukte kommen von einem kleinen Hof gleich jenseits der Stadtgrenze.“

Der gebürtige Allgäuer, der gelernter Koch ist und sich das Pâtisserie-Knowhow in der Pariser Ausbildungsstätte von Alain Ducasse holte, verzichtet bei seinen Kreationen komplett auf raffinierten Zucker, künstliche Aromen, Farben und Zusatzstoffe. Bei ihm steht das pure Produkt im Mittelpunkt. Natürliche Süße bezieht er aus Gemüse und Früchten, die herben Noten aus Kräutern und Oliven. Für Salzigkeit stehen Käse oder Sardellen, für Säure Zitrusfrüchte, Tamarinde oder hausgemachter Essig. Natürliches Umami kommt aus proteinreichen Hülsenfrüchten, Tomaten, Pilzen oder fermentiertem Reis. 

Cremiges Schokoladen-Mousseux mit Kichererbse, Haselnuss und Shiitake © Claudia Gödke

Selbst seine Schokolade macht er inzwischen selbst, er reiste sogar bis nach Ecuador, um sich bei kleinen Kakaobauern anzusehen, wie das Produkt entsteht. „Wir verzichten einfach komplett auf industrielle Produkte“, sagt Frank. Denn: „Wenn jeder Pâtissier mit den vorgegebenen Halbfertigprodukten und Schokoladen der großen Firmen arbeitet, dann schmeckt es auch überall gleich.“ Frank hat dazu eine ganz klare Meinung: „Wir wollen Desserts mit dem Ansatz machen, wie in der Spitzenküche an Vorspeisen und Hauptgerichte herangegangen wird.“ Sein Knowhow aus der Haute Cuisine kommt dem Wahlberliner dabei zugute – bevor er sich selbstständig machte, war er sechs Jahre lang Chef-Pâtissier bei Thomas Bühner im (2018 geschlossenen) Drei-Sterne-Restaurant „La Vie“ in Osnabrück. 

Das legendäre Kaviar-Popsicle (mit französischem Ossietra-Kaviar) © Claudia Gödke

Als Standort für sein eigenes Restaurant kam für Frank nur Berlin in Frage, wo Gastrokonzepte generell zugespitzter sind als irgendwo sonst in der Republik. „Hier geht alles“, sagt er, „hier lässt man jeden so sein wie er will.“ Die Räume im Reuterkiez fand sein Geschäftspartner Oliver Bischoff, Geschäftsführer der Designagentur „ett la benn“. Er hatte, anders als die Kollegen aus der Gastroszene, sofort an das Konzept geglaubt. Frank erinnert sich, wie damals viele sagten: „So ein Konzept braucht kein Mensch.“ Wer einmal sein Signature-Popsicle probiert hat, ein Eis am Stiel aus Topinambur und Vanille mit Pekannuss und Ossietra Kaviar, der weiß: Sie hatten unrecht.

www.coda-berlin.com

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