Interviews

Christian Bär: „Ein Hotel ohne Leben, das ist bedrückend“

Christian Bär vom Alpenhof Murnau über das Hotelleben im Lockdown, die Pandemie als Crash-Kurs für seine Auszubildenden und warum eine Seeforelle vom Walchensee der beste Fisch seines Lebens war

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Christian Bär, Geschäftsführer und Direktor des Alpenhof Murnau
Christian Bär, Direktor und Geschäftsführer @ Alpenhof Murnau

Der Alpenhof Murnau, normalerweise zum Jahresende bis auf das letzte Bett belegt, ist wie ausgestorben. Im November und Dezember checkten nur ein paar vereinzelte Geschäftsreisende oder Medizintouristen ein. Frühstück darf das Hotel servieren, ansonsten müssen sich die Gäste über die örtlichen Lieferdienste versorgen. „Wenn ich den Pizza-Boten in meiner Lobby sehe, dann tut mir das in der Seele weh“, sagt Christian Bär, der den Alpenhof seit fünf Jahren als General Manager und Geschäftsführer leitet.

Die Lobby – normalerweise ein Ort der Begegnung © Alpenhof Murnau

Was war das für ein Gefühl, im November zum zweiten Mal schliessen zu müssen?

Alles was ohne Leben ist, ist bedrückend, vor allem ein Hotel. Momentan nehmen uns die staatlichen Hilfen die Last der Existenzangst. Aber ich weiß nicht, was im nächsten halben Jahr passiert. Ab Januar bekommen wir nur noch eine Fixkostenhilfe, dann verliere ich monatlich viel Geld. Und die Frage ist: Machen wir am 10. Januar wieder auf oder am 10. April? Ich muss eher mit letzterem rechnen. Ob das Geld bis dahin bei allen reicht, ist mehr als fraglich. Die Situation unterscheidet sich hier in der Region extrem von Hotel zu Hotel. Betriebe, die vom Wintertourismus leben, trifft der jetzige Lockdown viel stärker als andere. Sehr hart trifft es auch die ganz großen Häuser der Region, bei denen die staatlichen Hilfen nicht greifen. Und ein Problem, das wir alle haben: Je länger der Lockdown dauert, desto mehr Mitarbeiter, die ja alle in Kurzarbeit sind, wandern in andere Branchen ab.

Sie kommen jeden Tag in ein leeres Hotel. Was tun Sie, um nicht zu verzweifeln?

Wir nutzen die Zeit für Renovierungsprojekte – soweit es finanziell geht. Ich habe 23 Auszubildende, Restaurantfachleute, Köche und Hotelfachleute, die kann ich nicht in Kurzarbeit schicken. Also binde ich sie in die Projekte ein. Gemeinsam haben wir die große Hotelgarage mit über 100 Stellplätzen komplett neu gestrichen. Das hätte mich normalerweise viel Geld gekostet. Jetzt haben wir es selbst gemacht und das sieht genauso gut aus.

Je länger der Lockdown dauert, desto mehr Mitarbeiter wandern in andere Branchen ab.

Sie haben momentan mehrere Baustellen?

Insgesamt fünf, neben den ohnehin laufenden Instandhaltungen. Einen älteren Trakt mit zehn Zimmern und einer Suite werden wir im Januar/Februar renovieren. Das war ohnehin geplant, aber jetzt machen wir alles selbst – Möbel schleppen, Stecker abmontieren, Wände streichen. Für unsere Azubis ein Crashkurs in Hoteleinrichtung. Als nächstes kommen elf ebenerdige Gartenzimmer an die Reihe, die bisher nur einen Balkon hatten. Da nehmen wir die Brüstung weg und verwandeln sie in Terrassenzimmer. Das hätte mich ein Vielfaches gekostet, liesse ich es von Handwerkern machen.

Sie verbessern Ihr Angebot, den neuen Gegebenheiten entsprechend?

Das gilt auch für unsere Außenpools. Bisher waren sie von Oktober bis April geschlossen. Dort habe ich in eine Wärmeabdeckung und -isolierung investiert. Jetzt kann man das ganze Jahr schwimmen, auch im Winter, bei 33° Wassertemperatur. Das vergrößert den Wellnessbereich um fast 500 m2. Meine Auszubildenden haben auch geholfen, über die große Außenterrasse mit Platz für 120 Gäste eine neue, sturmsichere Markise zu ziehen und Wärmelampen zu installieren. Denn eines ist sicher: Die Gäste werden auch in Zukunft bevorzugt draußen sitzen.

Das ganze Jahr über draußen schwimmen – bei 33° Wassertemperatur. © Alpenhof Murnau

Im Corona-Jahr 2020 haben Sie neun neue Auszubildende eingestellt. Zweckoptimismus?

Diesen Ausbildungsjahrgang nicht zu besetzen, war für mich keine Option. Und ganz ehrlich: Das hält uns gerade ein bisschen am Leben – diese jungen Leute, die nachkommen, die noch brennen für unsere Branche, die es wertschätzen, wenn man sich Zeit für sie nimmt. Sie werden wahrscheinlich die bestausgebildeten Lehrlinge, die je den Alpenhof verlassen haben. Weil wir uns momentan viel Zeit für sie nehmen können. Meine Abteilungsleiter haben ich verpflichtet, jede Woche mehrere Einzelschulungen zu machen, die im Normalbetrieb gar nicht möglich wären. Wir haben eine große Verantwortung für unsere Auszubildenden. Ich habe selbst heute eine Barschulung mit einer jungen Mitarbeiterin gemacht, wir sind jede Flasche durchgegangen, haben vom Gin bis zum Malt Whisky die Inhaltsstoffe besprochen.

Für die Hotelbar haben Sie auch neue Pläne?

Die liegt mir sehr am Herzen. Ich habe einen Top-Barmann aus München eingestellt, wir sind gerade dabei, gemeinsam das Barthema weiterzuentwickeln. Neue Signature Drinks, neue Konzepte für Barfood und Musik – und ein neuer Name. Die Bar wird „Roots“ heißen, das steht für die regionale Verwurzelung ebenso wie für die vielen natürlichen Inhaltsstoffe unserer Drinks. Wir möchten in Zukunft Drinks anbieten, die glaubhaft sind, Neuentwicklungen, aber auch Klassisches. Eine renommierte Münchner Bar unterstützt uns bei den Rezepturen. Die Schwerpunkte liegen bei Gin und Whisky, aber wir wollen auch das Thema Rum wieder nach vorn bringen. Oder einen edlen Cognac am Abend. Dazu die richtige Musik und ein Feuer im Kamin – es gibt nichts Schöneres.

Die neue Bar „Roots“ – Signature Drinks mit regionalem Bezug © Alpenhof Murnau

Die aktuelle Zwangspause setzt kreative Energien frei, für die im Alltagsbetrieb kein Raum wäre. Wie nutzen Sie die Zeit für neue Projekte? 

Wenn man Gastronomie mit Herzblut betreibt, denkt man ständig über Neues nach. Man beschneidet uns jetzt in unserem Hauptgeschäft, also weichen wir auf andere, neue Geschäftsfelder aus. Ich nutze die Zeit, um einen langgehegten Traum umzusetzen: Gemeinsam mit meinem Bruder pachte ich seit 23 Jahren das Jagdgebiet vor unserer Haustüre. Und habe mich immer geärgert, dass unser hochwertiges Fleisch zu minderwertigen Preisen verhökert wurde. Also habe ich gerade ein neues Kühlhaus bestellt. Ab Mai 2021, mit Beginn der Jagdsaison, wird das gesamte Wild aus unserer und den benachbarten Jagden über den Alpenhof Murnau vertrieben – vom Reh über Rotwild und Wildschwein bis zu den Enten. Mit einem örtlichen Metzger entwickeln wir gerade Rezepturen für Bratwürste, Schinken und Pasteten – Produkte, die unsere Gäste mit nach Hause nehmen können.

Was sagt Ihr Küchenchef dazu?

Die besten Stücke gehen natürlich weiterhin an Claus Gromotka, der Rücken, die Filets, die Nuss hinten aus dem Schenkel. Aber alle anderen Fleischteile, die in einer gehobenen Küche keine Verwendung finden, können wir jetzt ebenfalls verarbeiten. Wir werden eine eigene Marke entwickeln, um die Wertigkeit unseres Wildfleischs zu promoten. Das ist Regionalität, die für unsere Gäste rückverfolgbar ist. Meine Vision reicht dabei über das eigene Hotel hinaus. Wir werden ein Konzept entwickeln, das wir auch Kollegen anbieten. Denn viele Häuser in Deutschland haben Wild in der Umgebung. Es ist das gesündeste, nachhaltigste Fleischprodukt überhaupt. Die Tiere wachsen in der freien Natur auf, haben viel Bewegung, ernähren sich von den Früchten der Wälder und Wiesen, kommen nie mit Antibiotika in Kontakt. Ich sehe es auch als Aufgabe der Gastronomie und Hotellerie, das den Gästen nahezubringen. 

Wild aus der eigenen Jagd – das ist Regionalität, die für unsere Gäste rückverfolgbar ist.

Einige Kollegen sagen: Nach Corona wird nichts mehr so sein wie zuvor, kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Wie sehen Sie das? Wird das Hotelerlebnis neu zu erfinden sein?

Das muss man kurz-, mittel- und langfristig sehen. Ich bin überzeugt: Es gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen zu reisen. Der vergangene Sommer hat es gezeigt – sobald es wieder ging, waren die guten Gasthäuser voll, die Gourmetköche ausgebucht, die Hotels bis auf das letzte Bett belegt. Es wird auch nach diesem Lockdown so sein, dass die Menschen sich, nun erst recht, etwas gönnen wollen. Es wird ein reinigender Prozess: Diejenigen bekommen ein Problem, die nicht auf Qualität und die veränderten Bedürfnisse ihrer Gäste achten. Die Menschen werden noch vorsichtig sein, sie wollen sichere Abstände, kein Bussi-Bussi mehr, keine großen Veranstaltungen.

Was bedeutet das für den Bereich der Meetings, Konferenzen und Events?

Da sehe ich eine gravierende Veränderung. Vieles wird in den digitalen Bereich abwandern. Bei uns machte der MICE-Bereich vor Corona 35% des Umsatzes aus, das ist vorbei. Events wie Geburtstags- und andere Familienfeiern wird es weiterhin geben, vielleicht sogar mehr. Aber der Meetingbereich ist tot. Also denken wir um. Wir haben einen unserer großen Meetingräume ausgeräumt und wandeln ihn zum Yoga-Bereich um, mit Buddhas an der Wand, Klangschalen und Tee-Station. Wir werden mehr für die Menschen tun müssen im Sport- und Fitnessbereich, auch im Präventionsbereich. 

Meetings und Konferenzen machten vor Corona 35% unseres Umsatzes aus. Dieser Bereich ist tot.

Der Nach-Corona-Gast wird bewusster reisen. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Wir investiern in schönere Zimmer, mehr individuelle Angebote. Wir werden mit der Belegung nach unten gehen, das Haus eher zu 70% füllen als zu 80% wie in der Vergangenheit, aber dafür den Gästen mehr anbieten. Wir engagieren ein komplettes neues Fitnessteam für Yoga, Pilates und anderes. Wir haben in Zukunft zwei Sommeliers und zwei Barmänner, die sich um individuelle Bedürfnisse kümmern. Und wir bieten Erlebnisse. Im letzten Sommer haben wir den „Weißwurstrucksack to go“ erfunden, für ein Picknick im Murnauer Moos: Heißes Teewasser in die Thermosbox, Weißwürste rein, dazu Brezn, süßer Senf und Weißbier. Ein absoluter Renner.

Picknick boomt. Der Weißwurstrucksack to go war im Sommer der Renner.

Wie rasch wird sich der Reisemarkt erholen?

Ich fürchte, die internationale Erholung des Markts wird erst 2023 stattfinden. In den deutschen Regionen wird es schnell gehen, das hat uns der erste Lockdown gelehrt. Profitieren werden zunächst die Hotels an der Küste und im Voralpenland sowie generell auf dem Land. Ich fürchte, der große Verlierer wird die Stadthotellerie sein. Man muss aber auch klar sagen: In Metropolen wie Berlin und Wien sind in den vergangenen Jahren einfach zu viele neue Hotelzimmer entstanden. Einige große Häuser werden schließen, dort wird neuer Wohnraum in der Stadt entstehen. Eine Zukunft sehe ich eher für die kleineren Konzepte, Boardinghäuser und Living Appartments.

Wo sehen Sie für sich neue Zielgruppen, um den weggefallenen MICE-Bereich zu ersetzen?

Ich habe zwei neue Bereiche im Visier: Beim Thema Familie gibt es immer mehr Kinder, die mit ihren Großeltern verreisen. Da werden wir ganz spezielle Angebote schnüren. Der Opa kann vielleicht keine Mountainbiketour mehr mit seinem Enkel machen, aber er kann mit ihm auf die Zugspitze fahren, kann am Staffelsee Enten füttern oder ihm Schloss Neuschwanstein zeigen. Eine zweite Gruppe, die wir intensiver bewerben möchten, sind  gesundheitsaffine Reisende. Wir liegen inmitten einer intakten Natur. Neben Wanderungen, Yoga und Sportprogrammen bieten wir vor allem bewusste Ernährung. Menüs, in denen viele frische Vitamine, Spurenelemente und Mineralien enthalten sind. Unser Küchenchef Claus Gromotka setzt sich gerade sehr intensiv mit dem Thema auseinander. Er entwickelt zum Beispiel mehr vegetarische Produkte für das Frühstücksbüffet. Wir werden es in Zukunft verstärkt beschildern und Zutaten auflisten. Heißt konkret: Der Kia-Samen wird nicht nur angeboten, sondern es gibt auch Vorschläge, wie man ihn essen kann. Als kleines Extra entwickelt die Küche auch Rezepte zum Mit-Nach-Hause-Nehmen. 

Gesund in den Tag – mit vegetarischen Angeboten schon zum Frühstück © Alpenhof Murnau

Wie lautet Ihre Prognose für die Wiedereröffnung der Hotellerie?

Ich hoffe auf den März. Vielleicht mit flexiblen Lösungen, vielleicht erstmal zu 50%, möglicherweise mit reduzierten Angeboten. Gäste werden in der ersten Phase Flexibilität mitbringen müssen, auch Verständnis für Maßnahmen wie etwa Double Seating beim Abendessen, um Abstände wahren zu können. Wir wissen auch nicht, ob bis dahin alle Lebensmittelketten wieder funktionieren. Momentan fehlen 80% der Flugzeuge für Transporte. Aber damit lässt sich umgehen. Denn schließlich: Brauchen wir wirklich die Erdbeere im Winter, die Papaya im Fruchtsalat? Und muss es unbedingt die Seezunge aus der Bretagne sein? Unsere Region bietet so viele kulinarische Schätze: Mein Neffe ist Fischwirt am Walchensee, bei ihm kommen die Renken und Saiblinge direkt aus dem eiskalten Wasser. Ich habe dort neulich eine Seeforelle gegessen – der beste Fisch meines Lebens.

www.alpenhof-murnau.com

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