Der Münchner Spitzenkoch über sein neues Bon-Weekend-Konzept, Corona als unternehmerischen Crash-Kurs und die einzigartige Aromatik japanischer Taglilien
Tohru Nakamura sitzt in den leeren Räumen seines Restaurants, ein paar Schritte vom Münchner Marienplatz entfernt, und spricht über das Thema, das ihn seit März 2020 täglich beschäftigt: sich und sein Team neu zu erfinden. Ende Juni schloss die Familie Geisel überraschend den Werneckhof, Anfang Oktober brachte er mit dem Salon Rouge eine höchst erfolgreiche Neueröffnung an den Start (nach einer Woche war das Restaurant für sechs Monate ausgebucht), im November schuf er mit dem Umai Street Food Market ein schlagkräftiges To-Go-Konzept. Jetzt startet er sein neues „Bon Weekend“-Menü: vier Gänge für zuhause im typischen Nakamura-Stil – kreativ, ambitioniert und mit authentisch japanischen Inspirationen, die dem Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters so leicht keiner nachmacht.
Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?
In punkto berufliche Wendigkeit sind wir seit dem letzten Frühjahr im permanenten Intensivtraining. Als Team hat uns das enger zusammengeschweißt, und es war schön, die vielen Vertrauensbeweise von Seiten der Gäste zu erleben. Mit dem Umai Street Food Market haben wir bis zu 700 Gourmetburger täglich zubereitet. Das war ein deutlich höherer Umsatz, als wir mit dem Salon Rouge gemacht hätten. Es hat uns ermöglicht, bisher aus eigener Kraft wirtschaftlich zu überleben, ohne die staatlichen Hilfen, die noch nicht angekommen sind.
Unter dem Motto „Bon Weekend“ starten Sie jetzt ein Gourmet-Angebot, mit dem man sich ein Stück Salon Rouge nach Hause holen kann.
Die winterlichen Bedingungen und die strengen Lockdown-Auflagen machen Streetfood derzeit schwierig. Deshalb bieten wir jetzt ein Gourmet-Menü für zuhause, jeweils freitags und samstags, alle zwei Wochen wechselt das Programm. Damit wollen wir unseren Gästen am Wochenende eine Art Kurzurlaub für die Geschmackssinne bieten – mit der Aromatik und der Kreativität, wie sie für den Salon Rouge typisch sind.
Im ersten Menü fangen Sie für die vegetarische Vorspeise rund um rote und gelbe Bete die Aromatik von frisch geriebenem Wasabi ein. Warum ist das vom Geschmackserlebnis Lichtjahre entfernt von der üblichen Pulverversion?
Frisch geriebene Wasabiwurzel bietet ein unvergleichliches Erlebnis. Die Schärfe ist nur dezent, vorherrschend ist eine ätherische, fast florale Aromatik. Das geht beinahe ein wenig in Richtung unserer Kapuzinerkresse. Küchentechnisch war es eine Herausforderung, diese flüchtigen Aromen in ein To-Go-Menü einzubinden, weil frisch geriebener Wasabi sehr schnell oxidiert und dann an Farbe und Aroma verliert. Wir haben seine blumige, nur leicht scharfe Charakteristik deshalb im Öl der Vinaigrette eingebunden.
Frisch geriebene Wasabiwurzel ist ein Luxusprodukt, selbst in Japan kommt man nur in besten Restaurants in den Genuss. Was macht sie so wertvoll?
Wasabi ist eine sehr sensible und anspruchsvolle Pflanze, so eine Wurzel wächst über mehrere Jahre. Die Umweltfaktoren müssen ideal sein. Als Kind habe ich mit meinen Eltern in der Nähe von Nagano Wasabi in der freien Natur wachsen sehen. Es braucht viel frisches Wasser, am besten Bergquellwasser, es braucht ein Gefälle für die richtige Fließgeschwindigkeit, außerdem kühle Temperaturen und eine Wasserqualität von absoluter Reinheit und Klarheit, auch im Geschmack. Spannend sind übrigens auch die Wasabi-Blätter, sicher auch mal eine Inspiration für ein Gericht.
Im Fischgang bieten Sie Ihren Gästen zur Seeforelle ein sehr rares Produkt: Japanische Taglilie. Wo findet man so etwas?
Nicht alles, was nach Japan schmeckt, muss zwingend um den halben Globus geflogen werden. Johannes Schwarz, der Gärtner unseres Vertrauens, baut diese seltene Pflanze für mich in seiner Demeter-Gärtnerei am Münchner Stadtrand an. Aromatisch geht sie in Richtung Zwiebelgewächs, die Blätter haben eine verblüffend saftige Fleischigkeit, aber auch ein fast jasminblütenartiges Aroma, auch eine gewisse Würze wie bei Schnittlauchblüten, aber in einer viel harmonischeren, milderen Variante.
Die Taglilie blüht tatsächlich nur für einen Tag im Sommer. Wie kommt sie jetzt in Ihr Menü?
Eigentlich wollte ich sie im letzten Sommer frisch verarbeiten, für das Menü meines Garden-Table-Projekts, bei dem wir eine lange Tafel in der Gärtnerei aufstellen. Corona machte uns einen Strich durch die Rechnung. Also haben wir die Lilienknospen in noch geschlossenem Zustand gepflückt, fermentiert und eingemacht. Das ist ein echter kulinarischer Schatz, den wir jetzt im Bon Weekend-Menü zur Seeforelle ausspielen können. Dazu gibt es eine Sake-Beurre-Blanc mit Saiblingskaviar.
Auch im Hauptgang kommt zur französichen Imperial-Wachtel mit geschmorter Artischocke und Shi-Take-Duxelles ein ganz besonderes japanisches Produkt ins Spiel…
Wir bereiten dazu eine Jus auf Basis einer Sojasauce von herausragender Qualität aus der Manufaktur von Markus Shimizu in Berlin. Wir schätzen seine Kreationen sehr, sie sind Welten entfernt von einem industriell hergestellten Massenprodukt im Bereich Sojasauce. Wir reden hier von einem Fermentationsprozess von bis zu 12 Monaten im Barriquefass, wobei man neben Sojabohnen auch Urgetreide wie Einkorn verarbeitet. Bis da mal ein halber Liter Endprodukt entsteht, wird ein enormer Aufwand betrieben. Aber aromatisch ist das ein unglaublicher Mehrwert.
In Ihren Menüs kommt auch immer wieder Wagyu-Fleisch der Familie Ozaki zum Einsatz. Was macht es so einzigartig?
Beim Thema Wagyu steht gern die Textur und der Schmelz im Vordergrund, in Japan geht es dabei oft nur um die Maximalmarmorierung. Für mich zählen aber auch Aromatik und Eigengeschmack des Fleischs. Herr Ozaki geht mit einer ganz eigenen, ganzheitlicheren Philosophie an die Rinderzucht heran. Er ist meines Wissens der einzige in Japan, dessen Tiere nur biologisch angebautes Futter von den eigenen Feldern bekommen. Auch Kombu-Algen reichern ihren Speiseplan an, das bringt eine besondere Geschmackstiefe ins Spiel, ohne fleischig zu sein. Für mich ist das ein Fleisch, das auch in der Zubereitung einen äußerst angenehmen Duft hat.
Sie sind in München aufgewachsen, aber Dashi ist Ihnen so vertraut wie bayerische Leberknödelsuppe. Was ist das Geheimnis Ihrer Version?
Klassische Dashi wird mit Kombu-Algen angesetzt und mit Bonito- oder Thunfischflocken aromatisiert. Es gibt aber feine Unterschiede im Geschmack, je nachdem, ob die Flocken etwa vom Rücken- oder Bauchstück des Fischs stammen. Wenn wir im Salon Rouge Bonito-Flocken verwenden, dann niemals die fertig in Tüten abgepackte Version. Wir kaufen große Stücke von getrocknetem Bonito ein, den wir selbst à la minute hauchdünn hobeln.
Haben die Erfahrungen des zurückliegenden Jahres Ihren Küchenstil verändert?
Bei allen Problemen, vor die uns Corona gestellt hat: Die Zeiten des Lockdowns boten auch die Gelegenheit, unser gesamtes gastronomisches Angebot nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Wir sind vom ersten Brotkrümel bis zur letzten Praline das gesamte Erlebnis, das wir den Gästen bieten, durchgegangen und haben uns überlegt, wo wir nachjustieren können. Unser Küchenstil wird in Zukunft noch fokussierter sein, einen deutlichen Feinschliff erleben. So gesehen bot uns Corona eine Gelegenheit zur Reflexion, die man im normalen Betrieb nicht hat.
Sie haben als Gastronomen nun auch die Chance, sich ein Stück weit neu zu erfinden.
Wir denken zum Beispiel darüber nach, uns von der klassisch westlichen Menüfolge etwas zu lösen. Wenn Sie in Tokio oder Osaka ein großes Degustationsmenü essen, stehen sie viel unbeschwerter vom Tisch auf als in Europa. Gut möglich, dass etwa Fleisch bei uns in Zukunft zu einem früheren Zeitpunkt im Menü auftritt, um es nach hinten heraus leichter zu gestalten.
Noch ein Wort zum Thema Nachhaltigkeit: Braucht es in Europa unbedingt die Originalprodukte aus Hokkaido oder Nagano, um japanisch inspirierte Küche anzubieten? Entspricht es nicht viel mehr der japanischen Philosophie, möglichst viel aus der Region zu beziehen?
Absolut. Wenn man mit einer industriell gefertigten Sojasauce würzt, kocht man noch lange nicht japanisch. Sondern viel eher dann, wenn man die Philosophie verstanden hat, die kompromisslose Herangehensweise, was Saison und Produktqualität betrifft. Ein schönes Beispiel ist die deutsche Spargelsaison: Wir servieren einen der letzten ohne Folie gewachsenen Spargel aus Schrobenhausen, den wir in einer Kombu-Dashi garen, weil die Alge den Eigengeschmack des Spargel nochmal so richtig schön herauskitzelt. Ein deutsches Paradeprodukt, aber im japanischen Geist zubereitet.