Der Sternekoch aus dem Hunsrück über das Geheimnis seiner Rehbratwürste, das meditative Element der Jagd und Wildküche als Gegenentwurf zur Massentierhaltung
Sie haben schon vor Jahren beschlossen, sich bei einem so sensiblen Thema wie Wild nicht von Lieferanten abhängig zu machen und sich selbst auf die Pirsch zu begeben. Wie kam es dazu?
Ich bin ein Spätberufener und habe erst mit 40 Jahren den Jagdschein gemacht. Aber ich habe schon sehr früh, als meine Frau und ich 1993 dieses Landhaus mitten in der Hunsrücker Natur kauften, Wurzeln schlugen und begannen, uns für das Regionale zu engagieren. Ich habe mich mit Bauern, Züchtern, Metzgern und Fischern angefreundet und ihre Produkte verwendet. So kam irgendwann auch das Interesse für Wild. Ich wollte mehr wissen, wollte die Schonzeiten kennen und verstehen. Also habe ich den Jagdschein gemacht. Für mich war das eine neue Welt: Ich hatte vorher nie eine Waffe in der Hand, war nicht mal bei der Bundeswehr. Ich wusste nicht, ob ich wirklich abdrücken und ein Tier töten kann.
Es ging Ihnen darum, das Produkt ganz zu durchdringen und zu verstehen?
Kein anderes Produkt hat eine solche Nähe zum Terroir wie das Wild. Die Tiere sind auf Wiesen, Feldern und im Wald in ihrer ureigensten und natürlichen Umgebung aufgewachsen, ganz ohne menschliches Zutun und damit der Massentierhaltung mit all ihren Grausamkeiten entgangen. Das Wild des Hunsrück passt einfach gut zu dem, was sonst auf unserer Speisekarte steht, die Lämmer aus der Region und die Bunten Bentheimer Schweinen. Hier gibt’s Reh, Hirsch und Wildschwein, an der Saar jage ich auch Fasane.
Was empfanden Sie, als Sie Ihr erstes Tier schossen?
Ich war total aufgeregt, mir ist das Herz bald aus dem Hals rausgekommen. Es war ein Rehbock. Das Wichtigste ist, dass man sicher zielt und gut trifft. Es war schon eine Überwindung, das erste Mal. Aber ich hatte den Ablauf genau studiert, bei der Jagd gibt es ja ein ganz klares Regelwerk. Also legte ich das Gewehr an und befolgte automatisch Schritt für Schritt, was zu tun ist. Hinterher war ich sehr ergriffen. Aber auch erlöst, ich wusste jetzt: Ich kann es.
Was macht für Sie die Qualität von Wildfleisch aus?
Nehmen wir mal das Reh, das ist ein echter Feinschmecker. Es frisst nur die saftigsten Gräser, die obersten Früchte vom Busch, die feinsten Pflanzen und Triebe junger Bäumchen – zum Leidwesen der Förster. Das kommt der Aromatik des Fleisches zugute. Wildfleisch ist fast völlig fett- und cholesterinfrei, weil ein Reh fünfmal am Tag isst und nur vom Besten. Wenn wir uns so ernähren würden, dann würden wir 100 Jahre alt. Das Wild hatte also ein gutes Leben – und es stirbt ohne Stress. Der Schuss ist schneller als der Schall, das Tier ist schon tot, bevor es wissen konnte, dass es gejagt wird.
Ihr Restaurant liegt mitten in Ihrem Jagdrevier, die Transportwege sind kurz…
Ich hatte großes Glück, hier in Naurath die Jagd zu bekommen, sie umfasst etwa 1000 Hektar. Ich kann zu Fuss zum nächsten Hochsitz laufen. Ich liebe es, in dieser Natur zu sein, sie gibt mir Gedankenfreiheit. Auf dem Hochsitz vergesse ich die Zeit und mir kommen die besten Ideen. Dieses lange Angehen, das ist wie Meditation. Die Gegend ist hügelig und von großem landschaftlichen Reiz. Manchmal gehe ich abends vor dem Schlafengehen noch ein bisschen vor die Türe, da haben Sie das Gefühl, als wenn Sie die Photosynthese riechen würden. Die Luft ist so geklärt durch den Baumbestand.
Die Jagd ist für Sie ein Weg, nah an der Natur zu sein?
Jedes Tier, das ich schieße, wird in unseren beiden Restaurants komplett verwertet – das ist für mich Esskultur. Es gibt Jäger, die wollen nur die Trophäe haben, ich will das Fleisch. Wir verwenden vier, fünf Tiere die Woche. Heute werden wir fünf Rehe zerlegen, die haben wir fünf, sechs Tage im Kühlhaus hängen. Heute werden sie aus der Decke geschlagen, dann zerlegt. Wir schmoren die Schultern, die Keule servieren wir im Zweitrestaurant Hasenpfeffer, den Rücken im Gourmetrestaurant. Aus den anderen Teilen machen wir Salami und Schinken, Terrinen und Pasteten. Dann ist das ganze Tier, vom Kopf bis zum Schwänzchen, verarbeitet.
Aus Schulter und Keule werden auch Ihre beliebten Rehbratwürstchen…
Die Bratwurst steht als Klassiker immer auf der Karte, mit Linsen, Bratkartoffeln und einem Spiegelei. Wenn das süße, cremige Eigelb über das Brät läuft, das schmeckt toll. Wo können Sie in einem deutschen Restaurant die Wurst eines Sternekochs essen? Die Gewürzmischung für die Wurst wird frisch gemörsert und duftet wie ein orientalischer Gewürzladen, da sind zwölf Gewürze drin, unter anderem Sternanis, Gewürznelken und drei Sorten Pfeffer. So bringt die Wurst eine schöne Schärfe mit, da braucht man keinen Senf. Senf nimmt man normalerweise, weil viele Würste so schlecht sind.
Ist Wild das gesündeste Fleisch?
Es ist das beste Biofleisch, das es gibt. Wir haben Gäste, die essen aus ethischen Gründen keinen Thunfisch, keinen Hummer, kein Schwein, aber beim Wild greifen sie zu. Natürlicher als wir das hier machen, geht es nicht.
Und trotzdem macht Wild in Deutschland nur ein Prozent des Fleischverzehrs aus. Warum ist die Nachfrage so gering?
Weil es immer noch sehr viel überliefertes Halbwissen gibt – beim Wild fürchten viele den Hautgout. Wie oft ich das im Restaurant höre! Das kommt aus einer Zeit, als es noch keine schnellen Transportwege und zuverlässigen Kühlmethoden gab. Natürlich hat Wild einen bestimmten Geschmack, ich würde ihn eher als mild und nussig beschreiben. Wenn wir das Reh fünf, sechs Tage abhängen, dann ist es ganz zart und mild, fast schon zu mild manchmal. Hirsch ist etwas kräftiger. Aber auch da macht es einen Unterschied, ob Sie ein Hirschkalb essen oder einen ausgewachsenen Hirsch. Das ist bei jedem Tier so.
In der gehobenen Gastronomie ist Reh auf den Speisekarten sehr gut vertreten…
Weil gute Köche sich nach der Saison richten. Man muss die Jahreszeit auf dem Teller schmecken. Viele Konsumenten denken ja, Wild gibt es zu Weihnachten. Dabei fängt die Saison im Mai an! Ein Spitzenkoch wird im Dezember kein Reh anbieten. Denn ab Dezember wird es schwierig, im Januar ist Schluss. Dann kommt die Schonzeit, bis Mai. Vier Monate lang bekommt man das Produkt nicht – ist das nicht schön, dass noch solch echte Saisonalität existiert? Es ist genau wie mit Spargel oder Erdbeeren. Wir freuen uns alle darauf – aber nur, weil diese Produkte nicht das ganze Jahr über verfügbar sind. Die Natur gibt die Intervalle vor.
Nur 50 Prozent des Wildfleischs, das in Deutschland verzehrt wird, kommt aus den Regionen, der Rest wird importiert, vorwiegend aus Neuseeland.
Die Tiere werden in Übersee in Gattern gehalten, das ist Zucht, keine freie Wildbahn. Sobald der Mensch gattert, greift er in die Natur ein. Man füttert zu, damit die Tiere schneller Fett ansetzen. In Neuseeland haben sie riesige Flächen, da wird per Hubschrauber gefüttert, das hat mit Natürlichkeit nichts zu tun. Dazu kommt: Das Fleisch um die halbe Welt zu fliegen, macht auch aus Emissionsgründen keinen Appetit.
Wo kann man als Privatperson deutsches Wild direkt einkaufen?
Am besten, man wendet sich an das nächstgelegene Forstamt oder an den Landesjagdverband, der alle Förster kennt. In manchen Regionen findet man auch Wildhändler auf dem Wochenmarkt, hier im Hunsrück auch in kleinen, privat geführten Supermärkten.
1 Michelin-Stern
18 Gault&Millau-Punkte
Wild aus deutschen Wäldern – wann hat was Saison? | |
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Reh | Mitte Mai bis Januar |
Rotwild | Juni bis Ende Januar |
Wildschwein | Mitte Juni bis Ende Januar (Frischlinge ganzjährig) |
Hasen | Oktober bis Ende Januar |
Wildkaninchen | Mitte Juni bis Ende März |
Fasan | Oktober bis Mitte Januar |
Wildenten | September bis Mitte Januar |
Wildtauben | November bis Februar |