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Stefanie Hehn: „Ich mag Weine, die etwas Unerwartetes haben“

Die frischgekürte Master Sommelière über die größte Herausforderung ihres Lebens, ihre Liebe zu Weinen vom Ätna und warum sie ein Jahr lang jeden Morgen einen Schluck Grünen Veltliner nahm

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Stefanie Hehn, Master Sommelier © The Fontenay

Ende Oktober, kurz vor dem zweiten Gastro-Lockdown, flog Stefanie Hehn nach London, um die größte Herausforderung ihres Lebens zu bestehen: Die Prüfung zum Master Sommelier. Weltweit errangen in 50 Jahren nur 269 Kollegen diesen vom Londoner Court of Master Sommeliers vergebenen Titel. Die Chefsommelière des Hamburger Hotels The Fontenay ist eine von nur drei neuen Master Sommeliers 2020. 

Womit haben Sie angestossen, als die Prüfung bestanden war?

Mit einem 2007 Dom Ruinart Blanc de Blancs – den hat die Prüfkommission ausgegeben.

Mit einer Erfolgsquote von nur 4% gilt die Prüfung zum Master Sommelier als eine der schwierigsten der Weinwelt – warum eigentlich?

Die Prüfung wird in drei Teilen abgelegt – Praxis, Theorie und Tasting. Sobald man einen Teil bestanden hat, bleiben nur zwei weitere Jahre Zeit für die beiden anderen. Für die Praxis werden in einer realen Restaurantsituation Aufgaben und Fragen gestellt – zum Beispiel wird während des Champagnerservice am Tisch Hintergrundwissen zur Herstellung abgefragt oder man muss für Gäste ohne jeden Hintergrund eine Weinregion schlüssig vorstellen. Diesen Part hatte ich 2018 bestanden und danach begonnen, sehr intensiv fürs Tasting zu trainieren.

Eine der schwierigsten Prüfungen der Weinwelt – mit einer Erfolgsquote von 4%

Beim Tasting müssen sechs Weinen blind verkostet und nach Rebsorte, Jahrgang und Herkunftsregion definiert werden. Wie bereitet man sich darauf vor?

Das Tasting gilt vielen als der schwerste Part. Zum Glück konnte ich das gut mit meiner Arbeit im The Fontenay verbinden, wo ich ohnehin jeden Tag Weine probiere. In meiner Freizeit habe ich weiter trainiert, oft auch mit Kollegen. Um bei der Prüfung nicht die Nerven zu verlieren, muss man sich gezielt Methodik aneignen. Wichtig ist, nicht zu spekulieren. Also nicht: Das könnte ein Sauvignon Blanc sein. Sondern den Wein zunächst möglichst neutral und systhematisch anhand bestimmter Parameter beschreiben. Das macht es am Ende leichter, ihn richtig zu erkennen.

Was waren Ihre persönlichen Herausforderungen beim Tasting?

Eine Zeitlang tat ich mich sehr schwer, Grünen Veltliner und Albariño in der Blindprobe zu unterscheiden. Von der Aromatik  sind sie sich sehr ähnlich, beide haben dieses leichte Prickeln am Gaumen. Beim Grünen Veltliner spricht man vom „Pfefferl“, beim Albariño erinnert es eher an Bierhefe. Sensorisch ist das sehr nah beieinander. Also hatte ich zuhause je eine Flasche im Kühlschrank und habe jeden Morgen, nach dem Aufstehen, vor meinen anderen Tastings, Grünen Veltliner und Albariño verkostet, um mir das richtig einzuhämmern. Nicht gerade der Traum, so den Tag zu beginnen, ein Jahr lang. Aber es hat funktioniert. 

Ein Jahr lang jeden Morgen Grünen Veltliner und Albariño zum Frühstück

Das klingt nicht gerade nach einem Spaziergang…

Man lebt wirklich einige Jahre unter dem Diktat der Prüfung, sowohl beruflich als auch privat. Ich habe mir in dieser Zeit, immer wenn ich laufen ging, die Motivationsrede von Steve Jobs angehört: Love what you do. Er sagt: Alleine kannst du deine Ziele nicht erreichen. Du musst um dich herum die richtigen Menschen haben, die dich unterstützen. Da hatte ich Glück, sowohl privat als auch beruflich. Das Schöne an dieser Zeit war: Man lernt sich selbst sehr gut kennen, mit allen Stärken und Schwächen. Man lernt, mit Herausforderungen und Problemen besser umzugehen.

Zum Beispiel?

Beim Lernen für die theoretische Prüfung zwang ich mich, besonders die Themen anzugehen, die mich persönlich weniger interessierten. Zum Beispiel Spirituosen, die habe ich gezielt gepaukt, auch anhand von Masterblender-Videos, um diese Produkte besser zu verstehen. Oder beim Wein das Thema Osteuropa: autochtone Rebsorten Georgiens, die Weinregionen Armeniens, klimatische Bedingungen Griechenlands, zum Beispiel auf Santorini, wo Rebstöcke anders erzogen werden, weil es so windig ist. Am Ende wusste ich in der Prüfung Dinge, über die ich selbst überrascht war. 

Kommt das nun auch Ihren Gästen im Lakeside zugute? 

Man muss sich mit Produzenten weltweit auseinandersetzen, dadurch habe ich nochmal viele spannende Weingüter neu für mich entdeckt. Das kann ich jetzt an meine Gäste weitergeben. Ich habe eine lange Liste an Weinen, die ich in meiner Weinbegleitung einsetzen möchte, sobald es passt. Zum Beispiel war ich im Zuge der Prüfungsvorbereitung zum ersten Mal auf Sizilien. Ein toskanischer Winzer hatte mir gesagt: Warst du nicht auf Sizilien, dann warst du nicht in Italien. Auf dieser Reise habe ich eine ganze Reihe faszinierender Weine für mich entdeckt, zum Beispiel die Marsala von Marco de Bartoli. 

Einen seiner Weine bauten Sie gleich in Ihre Weinbegleitung im Lakeside ein, die grundsätzlich nicht das Naheliegende, sondern oft das Überraschende, aber perfekt Passende bietet.

Der Pietranera aus der heimischen Rebsorte Zibbibo hat mich fasziniert. Die Reben wachsen auf der Vulkaninsel Pantelleria, die Trauben werden meist für Dessertweine verwendet, aber De Bartoli baut sie trocken aus. Ich habe den Wein zu einer Vorspeise rund um Gänseleber, Aal und Apfel eingesetzt. Dazu erwarten die meisten Gäste, dass wir etwas mit Restsüße machen, aber wir setzten lieber auf die Textur. De Bartolis Wein bringt eine verspielte florale Aromatik mit, die perfekt zu diesem Gericht passt. Schön finde ich, dass man damit die Gäste nicht gleich satt macht, nicht schon zum Start so schwer daherkommt wie mit einem klassischen Süßwein. Es hat in jedem Fall etwas Unerwartetes, ein kleiner Paukenschlag gleich zu Beginn des Menüs.

Pietranera, ein Wein der Rebsorte Zibbibo von der Vulkaninsel Pantelleria © Autor

Wo liegen die Schwerpunkte der Weinkarte im Lakeside?

Wir haben etwa 400 Positionen, darunter regelmäßig Neuheiten, damit auch unsere vielen Stammgäste immer wieder etwas zu entdecken haben. Insgesamt ist es eine sehr klassische, zeitlose Weinkarte. Uns ist wichtig, Weine von Menschen anzubieten, die für das brennen, was sie tun. Jeder Wein hat eine Geschichte, da ist nichts von der Stange. Mir ist auch wichtig, dass unsere Weine einen Trinkfluss haben, dass sie animieren. Es sind Weine, die Lust auf mehr machen. 

Welche Regionen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Mir liegt daran, dass Deutschland dasteht wie eine Eins. Ein  Schwerpunkt liegt beim Riesling, von trocken bis edelsüß haben wir eine große Auswahl und schöne Jahrgangstiefe. Ich bin auch sehr frankophil, Burgund und Bordeaux stehen für Klassik. Aus Italien und Spanien haben wir die großen Namen, aber auch individualistischere Weine. Generell bevorzuge ich Weingüter, die wieder zurück zu den Wurzeln gehen, sehr naturnah arbeiten. Ich bin kein Natural-Wine-Verfechter, aber auf meiner Karte sind viele Weingüter, die biodynamisch arbeiten. Aus der neuen Welt habe ich alte Bekannte und eigene Entdeckungen. Es macht mir Spaß, einem Gast zu zeigen, wie zum Beispiel ein Chardonnay aus Kalifornien von der Qualität her einem Grand Cru nahekommen kann, bei einem viel günstigeren Preis.

Stefanie Hehn mit ihren Kollegen (v.l.n.r.) Marco D’Andrea, Julian Stowasser, Michel Buder © The Fontenay

Sie haben einen engen Austausch mit Julian Stowasser, dem Küchenchef des Lakeside, probieren Weine und Gerichte gemeinsam…

Ich schätze seinen Stil sehr, er kocht genussvoll, aber auch unkonventionell, mutig und unerwartet in den Kombinationen. Wenn ein Koch so wie er auch die Aromatik der Weine versteht, dann wird das Gesamterlebnis noch spannender. Zum Beispiel haben wir zu seiner bretonischen Makrele mit Gillardeau-Auster einen 2017 Clos Bel Air, einen Chenin Blanc aus einer Einzellage an der Loire, ausgewählt, dessen Mineralität mit der Makrele mega funktioniert. Im Gericht haben wir durch Zitronenverbene frische Kräutrigkeit, aber durch Beurre Blanc auch Cremigkeit, da fand ich es cool, mit der Petersilienwurzel-Aromatik des Weins weitere Kräuternoten ins Spiel zu bringen. Beide Partner bringen zudem schöne Salzigkeit mit, insgesamt finden sich alle Facetten des Gerichts auch im Wein wieder, das macht dieses Pairing so besonders. 

Schöne Mineralität: Clos Bel Air, Chenin Blanc aus einer Einzellage an der Loire © Autor

Sie haben einen ausgezeichneten Überblick über aktuelle Entwicklungen in der Weinwelt – wo ist es derzeit besonders spannend?

Total spannend finde ich, was am Ätna passiert, gerade in den höheren Weinbergslagen. Die dort heimische Rebsorte Carricante bringt Salzigkeit und Säure mit, die ein wenig an Riesling erinnert, aber mit einer ganz anderen, eher herzhaften Aromatik. Auch die Weine der umliegenden Vulkaninseln wie etwa Pantelleria verblüffen mich immer wieder. Weine, die von einem aktiven Vulkan kommen, haben eine ganz andere Mineralität als Weine, die auf einem ruhigeren Boden wachsen. Sie sind irgendwie vibrierender.

Ihr persönlicher Weintipp vom Ätna?

Faszinierend finde ich die Arbeit von Salvo Foti aus Milo. Sein Rosé Vinudilice Rosato kommt von einem der höchstgelegenen Weinberge der Insel in über 1000 Meter Höhe, knapp unter der Schneegrenze. Die Rebstöcke sind zwischen 100 und 200 Jahre alt, er macht einen Rosé daraus, weil die Trauben für einen Roten nicht genügend ausreifen. Ich bin normalerweise kein Rosé-Fan, aber dieser hat mich fasziniert. Wegen der vulkanischen Böden hat er etwas Prickelndes, fast wie ein Champagner, auch leichte Rauchnoten. Ein extrem spannender, appetitlicher Wein, er erinnert mich an einen Rosé-Champagner, der nach der Saignée-Methode ausgebaut ist. Passt toll zu Seafood, etwa zu einem Langostino, man kann auch mit Zitrus arbeiten. Ein superspannender Wein, den habe ich auch zuhause im Keller. 

Wer beeindruckt Sie unter den jungen deutschen Talenten derzeit besonders?

Sebastian Fürst vom gleichnamigen Weingut im tauberfränkischen Bürgstadt – er macht Weltklasse-Rotweine auf seinen roten Sandsteinböden. Ich mag sein Understatement, er muss nicht damit angeben, was er kann, tritt immer zurückhaltend auf. Aber seine Weinberge sind in Bestform, er bringt unwahrscheinlich feine, präzise, elegante Weine auf die Flasche. Mehr Komplexität im Rotwein-Bereich finden Sie in Deutschland nicht. Ich hatte sogar schon Gäste aus dem Ausland, die mir gereifte Jahrgänge des Weinguts abkaufen wollten.

Weinreisen, Messebesuche, Fachverkostungen – all das ist derzeit nicht möglich. Wie halten Sie den Kontakt zur Szene?

Es gibt im Bereich der Online-Verkostungen mittlerweile tolle Angebote. Mein Favorit: Die Videos, die mein Master Sommelier-Kollege Ronan Sayburn für 76 Pall Mall, einen Private Members Wineclub in London, dreht. Seit dem ersten Lockdown hält er dort jeden Tag Verkostungen. Sayburn schätze ich besonders, weil er in seinen Weinproben nicht nur viel Wissen, sondern auch Witz verpackt. Und das Schöne am Wein ist ja: Man lernt nie aus. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen, junge Talente, spannende Terroirs, die es lohnt kennenzulernen. Ich mag diese Dynamik im Thema Wein.

www.thefontenay.com

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