Restaurants

Werneckhof, München

Wanderer zwischen den Welten: Tohru Nakamura, Gault&Millau-Koch des Jahres 2020, machte ein alteingesessenes Schwabinger Gasthaus innerhalb weniger Jahre zum Ziel für Gourmets aus ganz Deutschland

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Update: Am 25. Juni 2020 gab die Eigentümerfamilie Geisel bekannt, das Restaurant Werneckhof zu schließen. Kurz zuvor hatte das japanische Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei Tohru Nakamura zum „Japanese Cuisine Goodwill Ambassador“ ernannt.

Tagelang ohne eine Schale gekochten Reis? Da würde Tohru Nakamura unruhig: „Reis bedeutet für mich Heimat.“ Dasselbe gilt allerdings auch für einen deftigen Schweinsbraten mit krachender Kruste. Es gibt viele Köche, deren Stil durch die eigene Biografie geprägt ist – bei kaum einem aber ergibt das so spannende Kontraste wie bei Nakamura, der als Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters in München aufwuchs, viele Schulferien in Tokio verbrachte und so von Kindesbeinen an zwei kulinarische Welten verinnerlichte.

Tohru Nakamura © KME Studios

Seit 2013 kocht er im Werneckhof und von Anfang an prägte er einen eigenen Stil, der aus den Einflüssen der europäischen Avantgarde und den Geheimnissen der traditionellen japanischen Küche etwas ganz Neues entstehen lässt, auf Basis bester Produkte aus der Region und aller Welt, befeuert von hoher kulinarischer Intelligenz. Typisch Nakamura sind überraschende Aromenkombinationen, die am Ende immer in perfekter Harmonie aufgehen, wie in Asien üblich. Seine Teller sind – nicht umsonst arbeitete er zwei Jahre mit Sergio Herman – stets bildschön angerichtet, gruppieren sich aber klar um ein immer exzellentes, oft auch überraschend verarbeitetes Hauptprodukt. 

Japanische Einflüsse finden sich auf fast jedem Teller, ohne dass Umami – wie derzeit so oft – vordergründig und plakativ wirkt, vielmehr weiß Nakamura es so subtil einzusetzen wie im Mutterland. Schon bei den Amuse-bouches fühlt sich der Gast wie am Tor zu einer neuen, kulinarischen Welt. Denn es kommt nicht die übliche, oft beliebig wirkende Parade, sondern etwas sehr Durchdachtes. „Zukushi“ bezeichnet im Japanischen traditionell die Variation eines bestimmten Produkts, sie bildet im Werneckhof, saisonal wechselnd, den Auftakt jedes Menüs. 

„Zukushi“ aus dem Süßwasser © Patricia Bröhm

Zum Beispiel das Thema Süßwasserfisch: Da gibt es Sashimi von der Goldforelle mit bayerischer (Meerrettich, Nussbutterschaum) und japanischer (frisch geriebener Wasabi, Ponzusauce) Begleitung, außerdem Saiblingkaviar auf Erdnusschip, leicht geräuchterten Aal mit Bohnenkraut und Gurke sowie rohe Hechtwürfel, am Tisch mit Safranbouillon übergossen. Köstlich!

Zukushi © Patricia Bröhm

Thunfisch vom spanischen Kultbetrieb Balfegó ist eine Konstante im Menü, die Küche hat die Größe, seine sensationelle Produktqualität auch mal einfach für sich sprechen zu lassen, wenn sie ihn roh präsentiert, das eher magere Rückenstück (Akami) nur mit etwas Meersalz, das fettere Stück vom Unterbauch (Chu-Toro) als Tatar mit feiner Koji-Würze. Dazu gibt’s ein Aromenspiel von (leicht süßlicher) Kerbelwurzel und der feinen Säure von Bergamotte (in der Vinaigrette und als Eisperlen).  

Zweierlei vom Balfegó-Thunfisch © Patricia Bröhm

Von der Pfanne nur geküsst ist die Langustine, gekrönt von etwas Artischockencreme mit Myoga (Blüte der Ingwerwurzel). Dazu ein erfrischender Salat von grünem Apfel und ein Röllchen mit gepickeltem Kürbis. Die Meeresfrucht badet in einer Art japanisierter Hollandaise auf Krustentierbasis, aufgeschlagen mit jeder Menge Butter, die wiederum mit gerösteter Langustinenschale aromatisiert wurde – das ist große Saucenkunst, zeitgemäß leicht und geschmacksintensiv inszeniert. 

Langustine © Patricia Bröhm

Nakamuras enger Zusammenarbeit mit der hochkarätigen Fischzucht Birnbaum ist es zu verdanken, dass er seinen Gästen auch selten gewordene Süsswasserfische wie Huchen oder Karpfen bieten kann. Letzterer wird bei ihm zur Delikatesse, in Erdnussöl frittiert und im „Nanbanzuke“-Stil mariniert, den die Japaner sich mit seinen leicht säuerlichen Noten vom spanischen Escabeche abgeschaut und perfektioniert haben. Im Werneckhof verwendet man für die Marinade Reisessig, Sake, braune Butter und fermentierten Chili, sie rahmt den schmackhaften Fisch perfekt ein und harmoniert bestens zur Begleitung aus Karotten und süßer Zwiebel. 

Karpfen „Nanbanzuke“ © Patricia Bröhm

Sehr japanisch ist in Nakamuras Küche auch die Ehrfurcht vor dem großen Produkt: Das Wagyu der Familie Ozaki aus der Präfektur Miyazaki ist Legende, als Höhepunkt eines Menüs kommt es ganz puristisch auf den Tisch. Die Hochrippe wurde nur kurz angegrillt und blieb im Kern fast roh, dazu gibt es eine Art Törtchen vom edlen Koshihikari-Reis, verfeinert mit Gobo-Wurzel (aus der Familie der Schwarzwurzel), frisch geriebenem Wasabi und Ochsenmark. 

Ozaki Wagyu © Patricia Bröhm

Das alte Schwabinger Gasthaus, versteckt in einer ruhigen Wohnstraße nahe der Münchner Freiheit, hätte sich wohl nie träumen lassen, einmal zum Pilgerziel für Feinschmecker zu werden. Hinter der sonnengelben Fassade mit Jugendstilfenstern verbirgt sich ein angenehm unaufgeregtes, dezent-stilvolles Lokal, das gerade durch sein Understatement Nakamuras höchst eigenständige Küche umso mehr wirken lässt. 

Umfangreiche Weinkarte, die im roten Bereich in Italien, Burgund und Bordeaux auftrumpft. Alternativ empfiehlt sich die sehr gute hausgemachte Kombucha.

Werneckhof in München-Schwabing © Robert Morris

Und noch etwas:

Tohru Nakamura zählt zu einer neuen Generation von Köchen, die nicht mehr nur im klassischen Restaurantformat denkt und bereichert die Münchner Gastroszene auch mit unkonventionelleren Ideen. Den Corona-Lockdown nutzte er, um einen langgehegten Wunschtraum umzusetzen und etablierte im Hotel Schwabinger Wahrheit (das auch zur Geisel-Gruppe gehört) einen Take Away mit Shibuya Fried Chicken – Brathendl auf asiatische Art, mit verschiedenen Beilagen und Saucen. Wegen des großen Erfolgs stehen die Chancen gut, dass dieses Angebot auch zukünftig fortgeführt wird. 

Jedes Jahr im Juli bietet Nakamura seinen Gästen auch eine ganz besondere Erfahrung: The Garden Table. Das komplette Restaurant zieht vor die Tore der Stadt, in die Gärtnerei von Johannes Schwarz, der hier u.a. 50 Sorten Tomaten und 6 Sorten Gurken anbaut, darunter die japanische Schlangengurke, die an der langen Tafel im Gewächshaus mit Sansho-gebeizter Seeforelle, Sudashi und Kapuzinerkresse noch köstlicher schmeckt.

2 Michelin-Sterne
19 Gault&Millau-Punkte

www.geisels-werneckhof.de

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