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Unser täglich Brot

Steht die vielgerühmte deutsche Brotkultur vor dem Aus? In Zeiten von Bäckereisterben und industrieller Massenproduktion könnte man es fürchten. Gut, dass Deutschlands Köche die Sache nun selbst in die Hand nehmen

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Die Côte d’Azur gilt nicht gerade als Mekka der Brotkultur, aber wer das Glück hatte, einmal in Mauro Colagrecos Mirazur in Menton zu essen, der wird diesen Auftakt nie vergessen: In einer Schale aus Wurzelholz wird duftendes, ofenwarmes Brot nach dem Rezept seiner italienischen Großmutter serviert, dazu ein Schälchen mit Olivenöl und – ein Gedicht, Pablo Nerudas „Ode an das Brot“. Mehr Wertschätzung für das Lebensmittel geht kaum. Wie der als Produktfetischist bekannte Colagreco nehmen weltweit immer mehr Köche die Sache mit dem Brot in die eigene Hand. Nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass selbst im einst für seine Brotkultur gerühmten Deutschland immer mehr Bäckereien schließen. Für viele Menschen ist es längst selbstverständlich, sich beim Discounter oder in der Kettenbäckerei mit Aufbackware zu versorgen.

Die Zahl der Handwerksbäckereien in Deutschland sank in den letzten 60 Jahren von rund 55.000 (im alten Bundesgebiet) auf heute knapp 11.000 landesweit. Es ist paradox: Knapp 60 Kilo Brot und Backwaren verzehren die Deutschen pro Haushalt und Jahr, nirgendwo ist die Vielfalt an Brotsorten so hoch wie bei uns (rund 300). Von der Unesco ist deutsches Brot sogar als Weltkulturerbe anerkannt. Und trotzdem schließen zwischen Sylt und Garmisch Jahr für Jahr 400 Bäckereien. Die Backautomaten von Aldi und Co machen ihnen den Garaus. Zwar existieren auch bei uns noch engagierte Kämpfer, die nach traditioneller Handwerkskunst arbeiten, wo der Rohstoff höchste Wertschätzung genießt und der Teig genügend Zeit zum Gehen bekommt, aber sie wirken wie Davids im Kampf gegen die Goliaths der uniformierten Aufback-Teiglinge.

Engagierte Köche haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie suchen sich einen der neuen Helden der Backstube wie etwa Arnd Erbel aus dem fränkischen Dachsbach, der mittlerweile Restaurants in ganz Deutschland mit seinem Glückshormone freisetzenden Backwerk beliefert. Er ist Bäcker in zwölfter Generation und stolz darauf, dass seit über 300 Jahren das Sauerteigbrot seiner Familie aus nur drei Grundzutaten besteht: „Mehl, Wasser, Salz.“ Auf seine Brote schwört man im Münchner Tantris und im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten, für Christian Scharrer vom Restaurant Courtier in Weissenhaus erfand er sogar ein „grünes“ Brot, für das er getrocknete Algen verwendete.

Immer mehr Köche mit Ambition aber greifen auch bei uns zur Selbsthilfe und backen selbst das Brot, das sie servieren. Zum Beispiel im Sosein im fränkischen Heroldsberg, wo der Teig mit Naturhefe angesetzt wird und über Tage gehen darf. Ein beinahe sakraler Akt ist es, wenn die duftenden Laibe mit ihrer krachenden Kruste im Gastraum aufgeschnitten und mit viele Wochen milchsauer gereifter, aromatisch an Parmesan erinnernder Butter serviert werden. Im Restaurant Überfahrt am Tegernsee ist Christian Jürgens’ saftiges Kartoffelbrot nicht wegzudenken, das er warm und duftend mit hausgemachter Butter, Olivenöl und Fleur de Sel serviert. Und im Berliner Hipster-Restaurant Lode&Stijn erlangte das hausgebackene Sauerteigbrot geradezu Kultstatus – kein Wunder, denn Lode van Zuylen war bei der legendären Bäckerei Sironi in der Markthalle Neun beschäftigt, bevor er sich selbstständig machte.

Vielleicht werden wir es ja noch erleben, dass einer unserer Küchenhelden so weit geht wie der Pariser Spitzenkoch Thierry Marx, der 2016 im schicken 8. Arrondissement seine eigene Bäckerei (La Boulangerie) eröffnete – mittlerweile gibt es zwei weitere Filialen, alle im trendigen Vintage-Stil gehalten. Marx erfüllte sich damit einen langgehegten Traum: „Für mich ist das Brot die wichtigste Zutat der französischen Küche.“

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