Stuttgarter Gaishirtle, Roter Berlepsch oder Champagner Bratbirne – so heißen die alten Streuobstsorten, aus denen Jörg Geiger nicht nur charaktervolle Schaumweine, sondern auch Hochwertiges ohne Promille gewinnt
Es muss nicht immer Champagner sein. Nach diesem Motto finden sich auf den Apéritifwägen engagierter Sommeliers immer öfter auch Obstschaumweine aus alten Apfel- oder Birnensorten. Ganz vorne dabei sind die prickelnden Spezialitäten, die Jörg Geiger am Nordrand der schwäbischen Alb aus den Früchten traditioneller Streuobstwiesen gewinnt. Die fast vergessenen Sorten tragen Namen wie Hauxapfel, Stuttgarter Gaishirtle oder Wildling von Einsiedel und eignen sich wegen ihrer oft stark ausgeprägten Gerbstoffe weniger für den Verzehr, umso mehr aber für den Ausbau im Fass. Ein ganz besonderes Verhältnis hat Geiger zu der alten schwäbischen Sorte Champagner Bratbirne, eine pummelige Frucht mit gelbgrüner Schale, aus der 1997 sein erster Obstschaumwein entstand – die Bäume hatte er von seinen Großeltern geerbt.
In der familieneigenen Manufaktur mit Sitz in Schlat, einer kleinen Gemeinde am Nordrand der schwäbischen Alb, hält man sich bei der Produktion der Schaumweine an die méthode traditionelle, wie sie einst in der Champagne entwickelt wurde: Man lässt den Obstwein ein zweites Mal in der Flasche gären, dabei entsteht die Kohlensäure. Mindestens neun Monate darf er dann im Keller ruhen, bevor er in den Verkauf kommt. Das Ergebnis ist ein fein prickelnder Schaumwein, der nach reifen Birnen und blühenden Sommerwiesen duftet und am Gaumen mit einer gut eingebundenen Säure verklingt. „Die alten Sorten haben mehr Aroma, mehr Säure und entwickeln mehr Alkohol als moderne Züchtungen“, sagt Geiger. „Sie bringen alles mit für ein herausragendes Produkt.“ Seine charaktervollen Schaumweine empfiehlt er auch als Essensbegleiter: „Der Börtlinger Weinapfel passt zu Spargel, die Grüne Jagdbirne zum Rinderfilet unter der Kräuterkruste.“
Mit seinem Engagement für die alten Sorten trägt Geiger entscheidend zum Erhalt der mit rund 26.000 Hektar größten zusammenhängenden Streuobstlandschaft Europas bei, die am Rand der Schwäbischen Alb bis heute die Landschaft prägt. Über 5.000 Tier- und Pflanzenarten finden dort eine ökologische Nische, rund 1,5 Millionen Obstbäume stehen noch. Viele darunter sind über hundert Jahre alt, doch sie sind bedroht, weil sie nur geringe Erträge bringen. Nur die wenigsten Bauern machen sich noch die Arbeit, das Obst von Hand zu lesen. „Rund 500 alte Sorten haben überlebt“, sagt Geiger, „sie sind perfekt an das jeweilige Mikroklima angepasst.“ Er verarbeitet 40 Sorten, nicht nur zu Schaumwein im Champagnerstil, sondern auch zu Secco oder schwäbischem Cidre, zu Süßwein oder sortenreinen Bränden aus alten Birnensorten wie Stuttgarter Gaishirtle oder Nägelesbirne.
In der jahrhundertealten Landschaft der Streuobstwiesen haben auch lange vergessene Kräuter wie Schafgarbe, Vogelmiere und Mädesüß überlebt. Sie erleben seit Jahren auch in der Spitzenküche ein Revival, Geiger liess sich von ihnen zu seinem mittlerweile erfolgreichsten Projekt inspirieren: Prickelnde Wiesenobstsäfte, die er mit Kräutern, Blüten, Beeren, Blättern und Gewürzen aromatisiert. Er nennt sie „Prisecco“, weil sie im Geschmack so vielfältig und komplex wie Schaumweine sind, nur ohne Alkohol.
Rund 30 verschiedene Cuvées hat er im Programm, mal aus Birne, Gurke und Quitte, mal aus Apfel, Rose und Minze. „Die Nachfrage nach Prickelndem ohne Promille wächst enorm, heute macht das 80 Prozent der Produktion aus“, sagt Geiger. Seine schäumenden Wiesensäfte, eine Reihe von ihnen auch biozertifiziert, sind gerade in der gehobenen Gastronomie gefragt. Dort geht der Alkoholkonsum seit geraumer Zeit zurück, eine promillefreie Begleitung zum Degustationsmenü wird von immer mehr Gästen nachgefragt.
Geiger erkannte nicht nur hier die Zeichen der Zeit: Mit seinen Produkten leistet er auch einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der Kulturlandschaft seiner Heimat. Jahr für Jahr sammelt er aus einem Umkreis von sechzig Kilometern zwischen Mai und Dezember von 370 Landwirten aus über 40 Gemeinden 80 verschiedene Obstsorten ein. Damit seine Erzeuger stolz sind auf ihr Obst und sich die aufwendige Erhaltung und Bewirtschaftung ihrer Mostobstbäume langfristig rechnet, bezahlt Jörg Geiger für sortenrein gelesene Äpfel und Birnen von Streuobstwiesen Preise, die weit über dem Markt liegen. Und steht damit für ein einzigartiges Produkt – mit seinen Schaumweinen aus alten Sorten hat er sich europaweit einen Namen gemacht.